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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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nicht lesen, das ist zu klein geschrieben.«
    »Könnten die Mädchen dich nach der Beschreibung in der Zeitung wiedererkennen? Hast du lange mit ihnen gesprochen?«
    »Nein, sie haben mich persönlich sofort weggestoßen. Nur eine, nämlich das war Madame Gisele und ihre Freundin, die beiden waren sehr nett. Sie hat gesagt, ich soll dich von Gisele grüßen, Gisele von der Rue ...«
    »Delambre.«
    »Ja. Die würden mich wiedererkennen. Aber vielleicht können sie nicht lesen?«
    »Doch. Alle können lesen, mein Junge. Du bist ein besonderer Fall.«
    »Ich bin kein Fall. Ich bin ein Trottel.«
    »Wer sagt, daß er ein Trottel ist, ist kein Trottel«, sagte Marthe entschieden, während sie Clement an der Schulter hielt. »Hör zu, mein Junge. Du gehst jetzt schlafen, ich stell dir ein Bett hinter dem Paravent auf. Ich geh zu Gisele und sag ihr, sie soll die Klappe halten, genau wie ihre Freundin. Weißt du, wie die Freundin heißt? Ist das nicht die junge Line, die jetzt in der Rue Delambre steht?«
    »Genau das. Du bist klasse.«
    »Das ist nur ein bißchen Bildung, siehst du.«
    Clement schlug plötzlich die Hände an die Wangen.
    »Sie sagen, daß ich bei dir war«, murmelte er, »und sie werden mich hier schnappen. Ich muß weg, sie werden mich schnappen.«
    »Im Gegenteil, du bleibst hier. Gisele und Line werden nichts sagen, weil ich sie darum bitte. Eine Frage des Berufs, frag nicht weiter. Aber ich muß mich beeilen, ich muß sie sofort sehen. Und du gehst unter keinen Umständen raus. Und machst niemandem auf. Ich komm spät heim. Schlaf jetzt.«
     

5
     
    Es war nach elf, als Marthe Gisele auf die Schulter klopfte, die halb schlafend in ihrer Tür lehnte. Gisele besaß die Fähigkeit, sich im Stehen auszuruhen, so wie die Pferde, sagte sie. Sie war wie ein Sportler stolz auf ihre Fähigkeit, aber Marthe hatte das immer ein bißchen traurig gefunden. Die beiden Frauen fielen einander in die Arme, vier Jahre hatten sie sich nicht gesehen.
    »Gisele«, sagte Marthe, »ich hab nicht viel Zeit. Es geht um den Mann, der vorhin nach mir gefragt hat.«
    »Das hab ich mir gedacht. Hab ich eine Dummheit gemacht?«
    »Du hast dich ganz richtig verhalten. Aber sollte man mit dir darüber reden, dann darfst du nicht darüber reden. Womöglich siehst du ihn sogar in der Zeitung. Na, jedenfalls darfst du nicht drüber reden.«
    »Gegenüber den Bullen?«
    »Zum Beispiel. Der Kleine ist meine Sache, ich kümmere mich um ihn. Verstehst du, Gisele?«
    »Es gibt nichts zu verstehen. Ich red nicht drüber, das ist alles. Was hat er gemacht?«
    »Nichts. Der Kleine ist meine Sache, sag ich dir.«
    »Sag mal, ist das etwa dein kleiner Junge von damals? Der, dem du Lesen beigebracht hast?«
    »Du hast ganz schön was auf dem Kasten, Gisele.«
    »Seitdem ich ihn vorhin gesehen habe, ist da einiges in Bewegung gekommen«, sagte Gisele lächelnd und ließ einen Finger vor ihrer Schläfe kreisen. »Sag mal, entschuldige, aber ich habe nicht den Eindruck, daß viel davon bei deinem Jungen hängengeblieben ist, oder?«
    Marthe zuckte etwas betreten mit den Achseln.
    »Er hat's nie geschafft, seine Stärken zu zeigen.«
    »Das kannst du laut sagen. Aber wenn das dein Clement ist, kann man schließlich nichts dagegen einwenden, vermute ich. Das läßt sich nicht erzwingen.«
    Marthe lächelte.
    »Du weißt sogar noch seinen Namen?«
    »Marthe, ich habe dir gesagt, da drin ist einiges in Bewegung gekommen«, sagte Gisele und deutete erneut mit ihrem Finger auf die Schläfe. »Was denkst du denn, bei all den Stunden auf den Beinen, ohne irgendwas zu tun, da ist es doch normal, wenn du anfängst, nachzudenken. Du weißt doch, wie das ist.«
    Marthe nickte.
    »Wenn du genau nachrechnest«, fuhr Gisele fort, »hast du immerhin fünfunddreißig Jahre damit verbracht, auf der Straße nachzudenken. Da kommt schon was zusammen.«
    »Na ja, am Ende hab ich vor allem in meinem Zimmer vom Telefon aus gearbeitet«, wandte Marthe ein.
    »Das ändert nichts, man denkt auch, wenn man im Zimmer ist und nichts tut. Während, wenn deine Hände immer beschäftigt sind, wie bei der Post zum Beispiel, dann kannst du lange versuchen, nachzudenken, es nutzt nichts.«
    »Das stimmt, zum Nachdenken braucht man freie Hände.«
    »Sag ich dir doch.«
    »Was Clement angeht, vergiß ihn besser. Du darfst nicht drüber reden, verstehst du?«
    »Das hast du mir schon gesagt, entschuldige.«
    »Nimm's mir nicht übel. Ich will nur sichergehen.«
    »Hat dein Clement

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