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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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solche Regeln aufzustellen, ich meine, verstehst du, die Phänomene wissenschaftlich in den Griff zu bekommen? Vielleicht fällt das noch einmal jemand ein, sagte Ona gleichgültig, bisher haben wir Regeln nicht gebraucht. Ich komme sehr gut ohne zurecht. Natürlich, räumte sie ein, ich bin hier geboren, ich mußte schon, als ich nach der Brust meiner Mutter schnappte, ein Gefühl für die Translation entwickeln, möglich, daß ich den offenen Mund genau auf die falsche Seite oder zu weit entfernt von der Brust gehalten habe, da aber dort keine Milch kam, lernte ich es.
    Na ja, sagte Didas, ich verstehe jetzt, warum du daheim (er meinte die Metropole, also sein Daheim) alles so schnell auffassen konntest, meine Kollegen haben wohl doch richtig beobachtet, es ist rein mechanisch bei dir, rein praktisch, empirisch, von Fall zu Fall, von der Hand oder von der Saugwarze in den Mund. Mein Daheim ist hier, sagte sie. Dann erkläre mir diese verschiedenen Brechungen.
    Ich habe noch nie versucht, sie zu erklären, ich weiß nur, daß der Wind anders weht, das Licht anders fällt, daß eben alles anders ist, ich muß mit ihnen leben, praktisch, darum lege ich mehr Wert darauf, sie zu erkennen.
    Ihr Pfingstleute seid wohl völlig unwissenschaftlich? (Er war versucht zu sagen, ihr Pfingstochsen.)
    Na, sagte sie, hier stoßen eben verschiedene Atmosphären der Welt zusammen, sie mischen sich, und zwar ungleichmäßig. Es kann vorkommen, daß dein Glas Milch so erscheint, als stünde der untere Teil rechts, der obere links, als ob es zwei auseinandergeschlagene Teile wären, wobei der linke Teil in der Luft schwebt. Es hängt auch mit dem Magnetismus zusammen. Es hängt mit vielem zusammen. Weil sich die Verhältnisse mitunter von Minute zu Minute ändern und Beobachtungen dadurch erschwert werden, ist es kompliziert, das Problem zu erforschen.
    Während des Gesprächs lag Didas wie ein Kind auf dem Bett. Ona hatte ihn hinführen und hinlegen müssen, weil er sonst danebengefallen wäre. Sie mußte ihm jede Nahrung einflößen, sie band ihm ein Lätzchen vor und fütterte ihn. Öfter sagte sie, es wäre besser, du schlössest die Augen und bewegtest dich nicht, dann ginge weniger vorbei.
    Ich versuche ja, es richtig zu machen, sagte er, und ich mache es auch richtig, nach meinen Prinzipien mache ich es richtig.
    Wir hatten hier schon öfter fremde Gäste, aber keiner hat sich so starr angestellt wie du. Mehr fühlen mußt du, viel mehr fühlen. Du darfst dir nicht vorstellen, was nachher nicht so ist. Du mußt erst prüfen, du mußt im richtigen Augenblick, an Ort und Stelle das Gefühl für den Gegenstand und seinen Ort entwickeln. Wie klug du redest, dachte er, und dabei kommt mir deine Rede oberflächlich vor, ein Hingeplapper, neunmalklug und naseweis. Und überheblich.
    Du mußt mir sagen, wo der Gegenstand konkret vorhanden ist, wo real angesiedelt, wo greifbar, ganz exakt beschreiben, drei Zentimeter links beispielsweise von dem Ort entfernt, wo es so aussieht, daß er dort zu stehen scheine, verlangte er. Indem ich dir das angebe, kann er schon ganz woanders sein. Man sieht doch, wie er sich verändert, man fühlt es. Du mußt das selbst erfahren. Du mußt dich an die Translation gewöhnen. Wie aber? Anders jedesmal. Probier es selbst.
    Didas sah sie unglücklich an, er wagte kaum noch, sich zu rühren. Ona fühlte sich bald in ihn hinein, die zweite Eigenschaft, die ich an ihm erkenne: Er ist fühlarm. Sehr schnell begreift er, wenn er Daten vorgesetzt bekommt, wenn man ihm Regeln nennt, ihm Muster vorlegt, die prägt er sich dann ein. Doch jedesmal, wenn sich die Wirklichkeit nicht nach den Regeln, den Formeln und Gesetzen richtet, mit denen er sich angefüllt hat, bekommt er einen Wutanfall. Sagte Ona vorsichtig, du müßtest etwa so, sieh mal, ich führe deine Hand, so ginge es, und wiederholte er den schnell gelernten Vorgang, geschah es, daß er böse sagte, ich habe es gemacht, wie du es mir erklärt hast, genauso und nicht anders, deine Schuld ist es, daß der Topf trotzdem umgefallen ist. Ich habe so getan, wie du es sagtest. Der Topf ist umgefallen, antwortete Ona dann, das ist er.

    Didas versuchte aufzustehen, zu gehen, sich auf den Stuhl zu setzen, die Tür zu öffnen. Doch fiel er wie betrunken hin; wenn er sich setzen wollte, schien es ihm, als hätte jemand den Stuhl weggezogen, er plumpste auf den fellbedeckten Boden. Ona trug ihn ins Bett.
    Er räumte schließlich ein, ihm fehle die Begabung, um auf den

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