Der Vater des Attentäters (German Edition)
präzisierte Alex. «Bei einer Prügelei kriegen beide was ab. Es war eher ein Überfall.»
«Mister Klugscheißer ist für drei Tage vom Unterricht ausgeschlossen», sagte sie.
«Ich werde mich gleich darüber aufregen», erklärte ich den beiden, «aber erst mal brauche ich etwas zu trinken.» Ich holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Fran ging zurück zu ihrem Pizzateig.
«Wir dachten, heute machen wir eine mit Peperoni und Pilzen», sagte sie.
«Dagegen habe ich nichts einzuwenden.»
Völlig unvermittelt sagte Fran: «Ja, der Sieben-Uhr-fünfzehn-Flug nach Tucson.»
Tucson? Da erst bemerkte ich das kleine blaue Licht.
«Ja, er wird ein Auto brauchen.»
Ich wollte etwas sagen, aber sie hob den Finger.
«Das klingt gut. Können Sie mir den Zeitplan mailen? Danke.» Das blaue Lichtlein verlosch. Der Finger senkte sich.
«Was kann ich tun?», fragte ich.
«Den Tisch decken. Und ich brauche dich in zehn Minuten, um die Pizzas aus dem Ofen zu holen. Das Ding macht mir immer noch Angst.»
Im Fernseher in der Ecke lief Jeopardy! . Gameshows bildeten ein weiteres Ritual in unserer Familie. Fran fand, es sei gut für die Jungs, sich mit den Kandidaten im Fernsehen zu messen, auch wenn ich keinen rechten Sinn darin erkannte. Jedenfalls wurde unser Haus abends gegen sieben regelmäßig von einer Kakophonie zusammenhangloser Antworten erfüllt.
«James Garfield», sagte Wally.
«Madison», korrigierte ihn Fran.
«In Form einer Frage», sagte Alex.
«Wer ist James Garfield?», fragte Wally.
«Madison», sagte Fran.
«Wer ist James Madison?»
Ich hatte mich an das abendliche Durcheinander gewöhnt und freute mich sogar darauf. Familien definieren sich letztlich durch Tagesabläufe. Die Kinder müssen abgeholt und irgendwo hingebracht werden, zu Fußballspielen, Debattierclubs, Arztterminen und Schulausflügen. Abends wird gegessen und abgewaschen. Die Eltern vergewissern sich, dass alle Hausaufgaben gemacht sind, schalten die Lichter aus und schließen die Haustür ab. Donnerstags werden die Mülleimer an den Bordstein gestellt und freitagmorgens wieder hereingeholt. Nach ein paar Jahren wiederholen sich sogar die Streitigkeiten, als erlebte man immer wieder den gleichen Tag. Das hat etwas Beruhigendes und treibt einen gleichzeitig in den Wahnsinn. Als virtuelle Assistentin war Fran eine militante Ordnungsverfechterin. Wir waren ihre Familie, aber auch ihre Bodentruppe. Fast stündlich versorgte sie uns mit E-Mails und SMS und brachte unsere Terminkalender fortlaufend auf den neuesten Stand. Dein Zahnarzttermin ist verschoben worden. Die Chorprobe fällt aus, stattdessen geht ihr eislaufen. Das Militär ist weniger stark reglementiert. Zweimal in der Woche wurden bei den Allens die Uhren verglichen, etwa so, wie es spezielle Einsatztruppen tun, die eine Brücke sprengen wollen. Der gelegentliche Verdruss, den das in mir hervorrief, wurde durch Liebe wieder wettgemacht. Das Scheitern einer ersten Ehe lässt einen auf eine tiefe, unromantische Weise erkennen, wer man ist. Man muss sich nichts mehr vormachen, was die eigenen Schwächen und Marotten betrifft, und ist frei genug, den Menschen zu heiraten, der das eigene, wirkliche Ich am besten ergänzt, nicht die idealisierte Version davon, die man im Kopf mit sich herumträgt.
Ich hatte mich lange für einen spontanen, offenen Menschen gehalten, aber nach acht Jahren Ehe mit Ellen Shapiro begriff ich, dass ich in Wirklichkeit ein strenges, auf Wiederholung bedachtes Wesen war. Ich ertrage keine Ungewissheiten und Nachlässigkeiten. Die blauäugige Hippie-Schusseligkeit, die mir an Ellen auf den ersten Blick so gefallen hatte, hatte mich schnell wahnsinnig gemacht. Umgekehrt erwiesen sich die Eigenschaften, die mich zu einem guten Arzt machten – meine Sorgfalt, meine Vorliebe für immer gleiche Abläufe und die Bereitschaft, lange zu arbeiten – für Ellen als lähmend und langweilig. Wir stritten bei jeder Gelegenheit. Es war nicht so sehr, was ich tat oder sie tat, sondern wer wir waren. Unsere Enttäuschung war am Ende die Enttäuschung über uns selbst, dass wir eine so unpassende Wahl getroffen hatten. Das Leben ist ein Lernprozess, und obwohl wir ein Kind, Daniel, in die Welt gesetzt hatten, war es doch das Beste gewesen, die Verbindung zu lösen, bevor wirklicher Schaden entstand.
Ich nahm ein Glas aus dem Schrank und schüttete den Rest meines Biers hinein. Ich musste an die Patientin denken, die mich heute noch so lange im Krankenhaus aufgehalten
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