Der Vater des Attentäters (German Edition)
machen die Jungs in den Werbepausen, da drehen sie die Lautstärke herunter und lassen die Reklamehanseln ihre Verkaufssprüche tonlos herunterrasseln. Wir sahen, wie der Politiker zusammenfuhr und zurücktaumelte. Zwei Secret-Service-Männer hinter ihm zogen ihre Waffen.
«Macht mal Ton», sagte Fran.
«Wo ist die Fernbedienung?», fragte ich und ließ den Blick schweifen.
Es dauerte wertvolle Sekunden, bis ich sie fand, und dann noch ein paar mehr, bis ich endlich den richtigen Knopf drückte. Als der Ton wieder da war, hörten wir den Nachrichtensprecher sagen: «… habe der unbekannte Täter mindestens zwei Schüsse abgegeben. Seagram ist in das nächste Krankenhaus eingeliefert worden. Über das Ausmaß seiner Verletzungen gibt es noch keine Angaben.»
Wir sahen noch einmal das gleiche Filmmaterial: Der Kandidat stand auf der Bühne, dann hörte man die Schüsse aus dem Publikum. Dieses Mal wurde der Film langsamer, und die Kamera ging näher heran.
«Wir versuchen einen besseren Winkel zu finden», sagte der Sprecher.
Ich wechselte den Kanal. CNN berichtete ebenfalls über das Attentat. Genau wie ABC und NBC .
«Um es noch einmal zu wiederholen: Vor dreißig Minuten wurde Jay Seagram, der das Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur anführende Senator aus Montana, von einem unbekannten Attentäter niedergeschossen.»
Auf CNN stand eine Reporterin vor einem Krankenhaus. Der Wind blies ihr das Haar zur Seite. Sie sprach mit einer Hand am Kopf.
«Ted, wir hören, dass Senator Seagram operiert wird. Er ist von mindestens zwei Schüssen getroffen worden, in die Brust und in den Hals. Bis jetzt gibt es noch keine Aussage über seine Überlebenschancen.»
Das ist so ein Moment. Erst ist da nichts und dann, plötzlich, ändert sich etwas. Eine Familie bereitet das Abendessen vor, redet, lacht, und plötzlich drängt die Welt von außen herein.
Fran schickte die Zwillinge ins Wohnzimmer, sie seien zu jung für so etwas. Sie war schockiert. Sie war bei Seagrams Wahlkampfauftritt in der Stadt gewesen und hatte im vorigen Monat sogar ein Wochenende lang Wahlkampfmaterial für ihn eingetütet. Er war jung, sah gut aus und sprach mit großer Sachkenntnis. Fran hielt ihn für den Einzigen, «der in Frage kommt».
«Wer sollte so etwas tun?», sagte sie.
Als Arzt wusste ich, dass Seagram eine lange Nacht vor sich hatte. Die Reporter berichteten, die erste Kugel habe seine Lunge durchschlagen, die zweite die Halsschlagader. Die Rettungssanitäter hatten ihn schnellstmöglich ins Krankenhaus gebracht, aber derartige Verletzungen waren mit hohem Blutverlust verbunden. Der Blutverlust schwächte wiederum den Kreislauf und behinderte die sowieso schon eingeschränkte Atmung. Da war ein erfahrener Chirurg gefragt, der unter hohem Zeitdruck arbeiten konnte.
Im Fernsehen sagte ein Augenzeuge: «Ich habe seiner Rede zugehört, und plötzlich ging es Bäng!, Bäng!, Bäng! »
Drei Schüsse? Die Nachrichtenleute hatte nur von zweien gesprochen.
«Zwei Stunden», sagte Fran gerade. «Aber Sie müssen in Dallas umsteigen.» Sie saß am Computer und versuchte mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Ihr Bluetooth-Kopfhörer leuchtete. Auf ihrem Bildschirm sah ich neben der Website der Fluglinie das Fenster eines politischen Livetickers.
«Schalte auf MSNBC », sagte Fran und sah von ihrem Schirm auf. Ich schaltete um. Wir kamen gerade recht, um die Szene aus einem anderen Winkel zu sehen, in Camcorder-Qualität, von der Seite der Bühne gefilmt.
«Die Bilder, die Sie gleich sehen werden», sagte der Sprecher, «sind ziemlich drastisch und könnten jüngere Zuschauer verstören.»
Ich vergewisserte mich, dass die Kinder nach wie vor im Wohnzimmer waren. Auf dem Bildschirm zoomte der Camcorder auf Seagrams Gesicht, der noch bei seiner Rede war. Der Ton war undeutlich, amateurhaft aufgenommen. Dieses Mal ließ uns der erste Schuss regelrecht zusammenfahren. Es klang, als stünde der Schütze direkt neben der Kamera.
Der Senator auf der Bühne wankte, Blut spritzte ihm aus der Brust. Der Kameramann drehte sich, und für den Bruchteil einer Sekunde sah man eine über die Menge gereckte Pistole. Der Attentäter trug ein weißes Button-Down-Hemd. Sein Gesicht war kaum zu erkennen, denn alles bewegte sich und befand sich in Aufruhr. Im Hintergrund schrien Leute und rannten. Wir sahen, wie sich der Schütze umdrehte und zur Tür drängte. Ein Beamter vom Secret Service sprang zwischen die Leute und versuchte ihn zu
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