Der Verehrer
sein. Vor ungefähr einem Jahr hast du für dich genau das gleiche festgestellt. Und du hattest recht. Es hat nur etwas gedauert, bis ich es auch kapiert habe.«
»Du willst dich rächen.«
Sie hatte die Hand gehoben und ihm sanft über die Wange gestrichen.
»Ach, Wolfgang! Rache! Du glaubst gar nicht, wie wenig ich an Rache interessiert bin!«
Das schlimme ist, dachte er nun, an diesem Julimorgen im Flur ihres gemeinsamen Hauses zwischen all den Koffern, die ihre Trennung symbolisierten, daß sie wirklich keine Rache will. Wenn sie das wollte, hätte sie noch Gefühle für mich. Dann wüßte ich, sie kommt wieder, wenn sie meint, ich hätte lange genug gezappelt. Aber so … gibt es keine Hoffnung.
Er betrachtete sie. Sie hatte sich gut erholt von dem Unfall, von ihrem Schock und von den Verletzungen. Sie hatte Narben an den Beinen zurückbehalten, deshalb trug sie nun immer lange Hosen. Die Narben waren rot und häßlich, aber die Ärzte hatten gesagt, sie würden blasser und unauffälliger werden mit der Zeit, wenn auch nie ganz verschwinden. Im Krankenhaus hatte sie immer nur nach Felix gefragt und war erst zur Ruhe gekommen, als sie die Nachricht erhielt, daß die Polizei ihn tatsächlich in dem von Robert benannten Versteck gefunden hatte: ein stillgelegtes, einsames Gehöft jenseits der ehemaligen Zonengrenze. Felix hatte in einem steinernen Kellerverlies gekauert, in dem Wasser von den Wänden lief und Grabeskälte herrschte. Er hatte blaue Lippen gehabt und war mit
schwerer Unterkühlung sofort in eine Klinik eingeliefert worden.
»Noch eine Nacht und ein Tag«, hatte der Arzt gesagt, »länger hätte er keinesfalls überlebt.«
Felix selbst war keineswegs so verstört, wie alle es erwartet hatten.
»Ich wußte, daß du mich finden würdest«, sagte er mit aufeinanderschlagenden Zähnen, als ihn seine weinende Mutter in die Arme schloß.
Wolfgang hatte Leona bittere Vorwürfe gemacht, weil sie zu Robert Jablonski ins Auto gestiegen war.
»Das war Wahnsinn! Absoluter Wahnsinn!«
»Es war das einzig Richtige. Wir hätten aus Robert nie herausbekommen, wo Felix ist, und wie wir jetzt wissen, war er wirklich in Lebensgefahr.«
» Du warst auch in Lebensgefahr! Daß du mich an dem Morgen, als er bei euch aufgekreuzt war, nicht informiert hast! Wenn dieses Münchner Callgirl die gefesselte Lydia Behrenburg nicht gefunden hätte, hätte ich nichts erfahren. «
»Du hast mir auch so nicht helfen können. Von irgendeinem Zeitpunkt an habe ich ganz klar gespürt, daß ich diese Sache nur allein zu Ende bringen kann. Und so war es dann ja auch.«
Dann hatte sie plötzlich gekichert. »Ich habe immer noch nicht ganz kapiert, woher ausgerechnet Lydia ein Callgirl aus München kannte!«
»Ich erkläre es dir später. Das ist alles eine verworrene Geschichte.«
An diesem Morgen des Abschieds nun schienen Erklärungen überflüssig geworden zu sein, und trotzdem sagte Wolfgang – vielleicht nur, um Leonas Fortgehen hinauszuzögern: »Weißt du, worin letztlich Robert Jablonskis
Dachschaden bestand? Ich meine, was all die furchtbaren Dinge, die er tat, ausgelöst hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nur rätseln. Ich glaube, es hing mit seiner Schwester zusammen. Mit seiner unglücklichen und unerfüllbaren Liebe zu ihr. Daß sie ihn verlassen und einen anderen geheiratet hat, war wohl der Auslöser. Die Weichen für den Defekt aber müssen viel früher gestellt worden sein. Was weiß man schon darüber, Wolfgang? Der Vater? Die Mutter? Der Geburtsvorgang? Oder liegt es in den Genen, von Anfang an, als unausweichliches Verhängnis?«
»Die Schwester …«
»Eva Fabiani. Am Ende wie am Anfang. Mit ihr hat alles begonnen.«
»Wenn du an diesem Tag nicht zum Zahnarzt gegangen wärst …«
»… wäre vielleicht alles anders gekommen. Ich glaube ja an ein Schicksal.«
»Das ist Unsinn.«
Sie hängte sich ihre Handtasche über die Schulter. Sie sah kühl und gelassen aus.
»Wie auch immer«, sagte sie, »für uns ist das nun gleichgültig. «
Sie schaute auf ihre Uhr. »Ich muß mich wirklich beeilen. Ich will noch ganz kurz bei Lydia vorbei und mich verabschieden. Sie ist todtraurig, daß ich weggehe. Die arme Seele! Ihr ist wirklich übel mitgespielt worden!«
Wolfgang erinnerte sich an die Stunden, die er an einem kalten Wintertag in Lydias überheiztem Wohnzimmer verbracht hatte. Er dachte an die Einsamkeit, die diese Frau wie eine große Glocke umgeben hatte.
»Sie ist wirklich eine arme
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