Der Verehrer
Geschwindigkeitsanzeiger. Er fuhr den Wagen mit hundertsechzig Stundenkilometern zum Dorf hinaus. Eine Katze brachte sich in letzter Sekunde in Sicherheit.
Roberts Gesicht war verzerrt. Leona wußte, daß ihn nichts mehr von all dem, was sie auch sagte, erreichen würde.
11
Fast die ganze Familie hatte sich im Häuschen versammelt. Nur Olivia war wegen Dany daheimgeblieben. Aber Elisabeth und Julius waren da, Ben und sogar Wolfgang, der genausogut hätte in Frankfurt bleiben können, der es aber dort nicht ausgehalten hatte. Carolin saß noch immer auf dem Sofa, und Tim hatte den Arm um sie gelegt; ein Anblick, der Ben zutiefst irritierte. Er wußte nicht, wer dieser Mann war, und hoffte, es handele sich um irgendeinen hilfreichen Nachbarn. Er fand ohnehin nicht wirklich die Kraft, sich über diesen plötzlich aufgetauchten Tröster Carolins aufzuregen: Es war sein Sohn, der entführt und in ein unbekanntes Versteck gebracht worden war. Seine Nerven vibrierten, er hätte heulen mögen und fühlte sich dabei zu betäubt, um auch nur eine einzige Träne weinen zu können.
Elisabeth behielt die Nerven. Sie kochte Kaffee für die noch immer in Haus und Garten herumwuselnden Polizisten, machte belegte Brote für alle und holte Mineralwasser aus dem Keller.
»Wir dürfen jetzt nicht zusammenklappen«, sagte sie, »wir müssen essen und trinken und die Beherrschung wahren!«
Wolfgang lief im Wohnzimmer auf und ab, ruhelos wie ein eingesperrter Tiger.
»Er hat Leona! Dieser Wahnsinnige hat Leona in seinem Auto. Ich begreife das nicht!« Er blieb vor Carolin stehen. »Wie konnte sie, um Himmels willen, bei ihm einsteigen? Mit ihm wegfahren? Dieser Mann ist ein mehrfacher Mörder! Er ist geisteskrank! Wie konntest du das zulassen? «
»Er hat gedroht, daß er sonst niemals sagen wird, wo er Felix …«
»Ich habe bereits begriffen, was er gesagt hat! Trotzdem verstehe ich nicht, wie ihr euch darauf habt einlassen können. Ist euch nicht klar gewesen, daß ihr ihm damit zwei Geiseln in die Hände gespielt habt? Felix und Leona! Das war eine solche Dummheit, daß ich …«
»Moment!« unterbrach ihn Ben. »Du solltest dir überlegen, in welchem Ton du mit ihr sprichst, Wolfgang! Carolin ging es um Felix. Und der ist auch mein Sohn!«
»Erstaunlich, daß du dich darauf auch einmal besinnst«, entgegnete Wolfgang eisig. »Ich hatte bisher eher den Eindruck, die Vaterrolle beschränkte sich bei dir allein auf den Akt der Zeugung.«
Ben sprang auf, und einen Moment hatte es den Anschein, als wolle er mit erhobenen Fäusten auf Wolfgang losgehen. Er gewann im letzten Augenblick die Kontrolle über sich und sagte leise: »Du kannst jetzt wahrscheinlich nur so reden. Um von dir selber abzulenken. Du weißt ganz genau, daß du die Lawine losgetreten hast, weil du unter allen Umständen im Bett einer anderen Frau mit deiner Potenz protzen mußtest und …«
»Paß auf, was du sagst«, warnte Wolfgang.
»Ich sage die Wahrheit. Leona wäre nie mit diesem Kerl auch nur in Berührung gekommen, wenn du ihr nicht eure Ehe vor die Füße gekippt hättest!«
»Ich würde dir dringend raten, den Mund zu halten. Ich lasse mir von einem kleinen Schmarotzer wie dir …«
»Schluß jetzt!« schrie Elisabeth.
Alle fuhren zusammen, auch die anwesenden Polizisten, und starrten sie an. Ihre Stimme hatte wie ein Pistolenschuß geklungen.
»Hört auf! Es ist unwürdig und sinnlos, was ihr da tut!«
»Entschuldige, Elisabeth«, murmelte Wolfgang.
»Ich weiß, daß nichts stimmt in unserer Familie!«
Sie stand mitten im Zimmer, ein Tablett mit Kaffeetassen in den Händen, bleich und bebend.
»Ich weiß, daß Ben schmarotzt und daß Wolfgang Leona in schändlicher Weise belogen und betrogen hat. Ich weiß aber auch, daß diese Tatsache Leona nicht davon freispricht, daß sie es war, und niemand sonst, die mit Robert Jablonski einen fatal falschen Griff getan hat. Ich weiß, daß Olivia spinnt, was Dany angeht, und daß allein sie schuld daran ist, wenn Paul eines Tages genug von ihr hat und geht. Ich weiß das alles. Aber wenigstens gebe ich mir trotz allem Mühe, die Familie zusammenzuhalten. Und ihr könntet mich hin und wieder unterstützen. Wenigstens jetzt. Weil sowohl Felix als auch Leona uns brauchen und ihnen nicht gedient ist mit einem Haufen von kindischen Narren, die sich gegenseitig die Augen auskratzen!«
Alle schwiegen.
»Es tut mir wirklich leid«, wiederholte Wolfgang schließlich.
»Mir auch«, murmelte
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