Der verkaufte Tod
um Rupien zu verdienen oder irgend etwas zu stehlen, das man wieder verkaufen konnte. Auf den Ghats war das fast unmöglich geworden; die Hafenpolizei war verstärkt worden, private Wachmänner lagen die ganze Nacht über auf der Lauer und schossen sofort auf alles, was sich in der Nähe der Schiffe und der Lagerhäuser bewegte.
Das wäre auch ein Beruf für mich, hatte Tawan damals gedacht. Bewachen und gleichzeitig stehlen, eine geradezu ideale Zusammenstellung. Er hatte sich bei der Gesellschaft beworben, war sogar bis zu dem Personalchef, einem bullenhaften Mann, vorgelassen worden und hatte sich demütig verbeugt.
Der Mann musterte ihn stumm und fragte dann im Befehlston: »Wie alt?«
»Zwanzig, Sir, wenn die Angaben meiner Eltern stimmen.«
»Beruf?«
»Alles, wovon man leben kann.«
»Kannst du schießen?«
»Ich werde es schnell lernen, Sir. Ich bin nicht dumm.«
»Schulbildung?«
»Ich mußte mich immer ums Überleben kümmern.«
»Wohnung?«
»In der Nähe des Flusses, Sir.«
»Also ein typischer Slumstinker! Eine Gossenratte!« Der bullige Mensch zog den Kopf tiefer in die breiten Schultern. »Und du bewirbst dich bei uns, um Gauner wie dich zu fangen? So viel Frechheit ist mir noch nicht vorgekommen!«
An diesem Nachmittag bezog Tawan die schlimmsten Prügel seines Lebens. Zwei Tage lag er in der Hütte, als habe man ihm alle Knochen zerbrochen, und Baksa pflegte ihn, rieb seinen Körper mit einem braunen Pflanzenbrei ein, drückte ihm Vinja an die Seite und verkaufte sich wieder an dicke, geile, meist weiße Herren, die sie in ihre märchenhaften Hotelzimmer mitnahmen.
Leben! Leben! Nicht verhungern! Man gibt einen Körper hin, der nichts fühlt und den man nachher im Fluß badet und reinigt; den Ekel spült man mit den Wellen weg. Auch in jenen elenden Tagen liebten sich Bruder und Schwester, denn Tawan wußte, daß sie ein sauberes Mädchen war, und Baksa spürte das Gefühl von Glück und Liebe nur, wenn sie in Tawans Armen lag. Jeder andere Mann war ein seelenloses Geschäft.
An einem heißen Junitag gelang es Tawan, als Schlepper auf einem alten, hölzernen Frachtkahn anzuheuern. Er mußte vier Tage an Bord bleiben, weil der Kahn hinunter zum Flußdelta fuhr, dort Juteballen lud und dann zurück nach Kalkutta stampfte.
»Geh nur, Bruder«, sagte Baksa und erfreute Tawan zum Abschied noch einmal mit ihrem kupfern schimmernden, sich wie eine Schlange bewegenden Körper. »Ich kann die vier Tage ohne dich leben.«
Sie winkte ihm nach, als er fortging, kehrte dann in ihre Hütte zurück, setzte sich auf die auf dem Boden liegende, mit Gras gefüllte Matratze, zog Vinja auf ihren Schoß und streichelte die schwarzen Haare des Kindes. »Nun ist es soweit«, sagte sie, streichelte Vinja und küßte sie voll Zärtlichkeit. »Es muß getan werden, mein Liebling, es geht um deine Zukunft. Du wirst mir später dankbar sein.«
An diesem Abend ließ sie Vinja allein in der Hütte, wanderte zum Hotel Majestic und verkaufte sich an einen Japaner, die zu den höflichsten Liebhabern gehören. Von diesem Hurenlohn kaufte sie eine große Flasche starken Rums und ein Fläschchen Chloroform mit einem Paket Watte.
Der Apotheker musterte Baksa kritisch, zögerte zunächst und fragte dann: »Wozu willst du das Chloroform?«
»Mein Bruder hat ein dickes Geschwür«, antwortete sie ohne Zögern. »Auf der linken Hinterbacke. Ich will es ihm aufschneiden.«
»Dafür gibt es Ärzte.«
»Können Sie einen Arzt bezahlen? Sie ja, aber ich nicht. Wir müssen alles allein tun. Armut ist wie das Schlafen in einem Grab.«
Der Apotheker hatte ein gütiges Herz, außerdem kannte er die Verhältnisse in den Slums, und woher das schöne Mädchen die nötigen Rupien hatte, konnte er sich denken. Er gab ihr Chloroform und Watte und sagte sich: Was geht's mich an, was sie damit macht? Ich nehme an, ich habe eine gute Tat getan.
Einen Tag lang zögerte Baksa, ihren Entschluß auszuführen. Aber bevor die nächste Nacht anbrach, rückte sie die schwelende Petroleumlampe näher an die Matratze, breitete ein Handtuch darüber aus, zupfte eine Handvoll Watte aus dem Paket, schraubte die Rumflasche auf und ging hinüber zur Feuerstelle, über der ein Kessel mit kochendem Wasser hing. In dem Wasser schwamm ein Messer mit schmaler, spitzer Klinge, die Tawan auf einem Schleifstein immer wieder nachschliff.
Mit einem Holzlöffel fischte Baksa das Messer aus dem brodelnden Kessel und trug es hinüber zur Matratze. Die kleine
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