Der verkaufte Tod
Vinja schlief schon auf einem Haufen Lumpen, sie hatte, wie fast alle Kinder, den Daumen in den Mund gesteckt, und Baksa blieb eine Weile vor ihr hocken, streichelte über das hellbraune Gesichtchen, küßte die geschlossenen Lider und begann dann, lautlos zu weinen und die Hände zum Gebet aneinander zu legen.
»Unser Leben verlangt Opfer«, sagte sie nach dem Gebet und richtete sich auf. »Und des Lebens stärkste Quelle ist das Mitleid. Vinja, du wirst es bald lernen, das zu verstehen. Du sollst keine Hure werden wie deine Mutter.«
Baksa hob Vinja vorsichtig vom Lager, trug sie hinüber zur Matratze, legte sie auf das Handtuch und schraubte das Chloroform-Fläschchen auf. Dann zog sie das linke Beinchen heran, beugte sich über die kleinen Zehen und küßte sie. Den dicken Wattebausch tränkte sie mit dem Betäubungsmittel, drückte ihn auf Vinjas Gesicht, bis sie glaubte, daß kein Schmerz mehr sie aufweckte, nahm das Messer, drückte die Spitze in Vinjas Oberschenkel und sah, daß sie nichts mehr spürte.
Mit zuckendem Gesicht und zusammengebissenen Zähnen begann Baksa ihr grausames, Vinjas Schicksal bestimmendes Werk.
Zehe nach Zehe des linken Fußes schnitt sie ab, trennte sie ab bis zu den Gelenken, so daß am Ende nur noch ein zehenloser Fußstumpf übrig blieb. Sie wunderte sich, wie wenig es blutete, und hemmte die Blutungen, indem sie einen mit Rum getränkten Lappen gegen die Stümpfe drückte. Ein paarmal zuckte Vinjas kleiner Körper, aber sie wachte nicht auf und schrie. Mit Lappen, die sie aus Tawans einzigem weißen Hemd gerissen hatte, umwickelte Baksa den verstümmelten Fuß, drückte noch einmal die Chloroformwatte auf Vinjas Gesicht und warf dann alles in eine Wachstuchtasche, das Chloroform, die Watte, die blutigen Lumpen und die abgetrennten kleinen Zehen. Das Messer reinigte sie in dem kochenden Wasser, schleppte dann den Kessel vor die Tür und goß ihn aus. Es gab keine Spuren mehr, nur das blutbefleckte Handtuch – sie ließ es unter Vinja liegen als Beweis, daß etwas Schreckliches, Unglaubliches geschehen war, während sie in der Nacht ihren Körper vor den Hotels verkaufte.
Sie verließ die Hütte, ging zum Hugli-Fluß hinunter, schüttete den Inhalt der Tasche in den Strom und sah mit versteinertem Gesicht zu, wie das Chloroform-Fläschchen, das Wattepaket, die blutgetränkten Lumpen und die winzigen Zehen von der Strömung mitgerissen wurden. Die Zehen würden nicht lange im Wasser schwimmen – es gab genug Raubfische, die nach ihnen schnappten.
In der Morgendämmerung, als sie in die Slums zurückkehrte, ballte sich eine Menschenmasse vor ihrer Hütte, deren Stimmengewirr sofort verstummte, als man Baksa sah. So hörte sie jetzt auch aus dem Inneren der Hütte Vinjas Schreie, und ihr Herz krampfte sich zusammen, sie klammerte sich an dem nächsten Menschen fest, um nicht in den stinkenden Unrat des Weges zu fallen. »Warum steht ihr hier?« stammelte sie. »Was ist mit Vinja? Warum schreit sie? Warum schreit sie so fürchterlich?«
»Geh erst mal hinein«, sagte eine Frau zu ihr. »Dein Kind lebt, du hörst es ja. Geh hinein und halte dein Herz fest.«
Zwei andere Frauen stützten Baksa und führten sie in die Hütte.
Auf der Matratze lag Vinja und schrie vor Schmerzen. Ein Fakir, von dem es in den Slums hieß, er könne Wunder vollbringen und mit seinen Händen heilen, kniete vor ihr und strich immer wieder über Vinjas zuckenden Körper. Bei ihr schienen seine Wunderkräfte zu versagen – die Schmerzen ließen sich nicht wegstreicheln.
»Was … was ist geschehen?« schrie Baksa an der Tür.
Vinja erkannte ihre Stimme, hob das Köpfchen, streckte beide Arme nach ihr aus, und ihr Schreien brach plötzlich ab.
Der Fakir beugte seinen Rumpf und drückte seine Stirn gegen den Boden.
»Was ist, mein Liebling?« rief Baksa. »Warum schreist du? Was tut dir weh?«
Die beiden Frauen hielten sie noch immer fest, und eine sagte mit stockender Stimme: »Während du weg warst, hat jemand – Baksa, es ist so schrecklich … Jemand hat Vinja verstümmelt. Man hat ihr alle Zehen des linken Fußes abgeschnitten. Es … es muß sehr schnell gegangen sein. Als wir Vinjas Schreien hörten, war der Täter schon verschwunden. Niemand hat ihn gesehen, aber bevor er flüchtete, hat er die Stümpfe noch verbunden. Ein merkwürdiger Kinderschänder.«
»Die Zehen … Man hat meiner Vinja die Zehen –« Baksa sprach nicht weiter; sie sank in sich zusammen, und die Frauen trugen sie auf
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