Der verkaufte Tod
einen Zehn-Dollar-Schein auf den Schreibtisch, »Sie kennen sich da besser aus als ich. Ist der Schein echt?«
Der Lieutenant starrte auf den Geldschein und zog die Augenbrauen zusammen. Zehn amerikanische Dollar, die findet man nicht in der Gosse der Slums. »Woher, du Halunke?« fragte er streng.
Ja, woher? Tawan sah wieder den ungeheuren Glücksfall, mit dem ihn vor zwei Tagen die Götter gesegnet hatten. Es war am Hugli-Fluß gewesen, eine Fähre war gelandet, und ein dicker, schwitzender Amerikaner war erfreut, als Tawan sich auf ihn stürzte und rief: »Sir, darf ich Ihr Gepäck tragen?«
Er schleppte die Koffer bis zu den wartenden Taxis und wollte dann sagen: »One dollar, Sir«, aber der Amerikaner hatte bereits seine Geldbörse aus der Hosentasche geholt, prall gefüllt mit Dollarscheinen, und sicherlich war's die schwüle Hitze, die ihm zusetzte, denn er mußte sich plötzlich an das Auto lehnen, begann tief zu atmen und zu zittern, die Geldbörse fiel ihm aus der Hand, Tawan direkt vor die Füße.
Schnelles Handeln gehört zum Überleben in den Slums. Blitzschnell bückte sich Tawan, griff nach dem Geld, zog einen Zehn-Dollar-Schein und vier zu einem Dollar aus dem Portemonnaie und gab es dann dem Amerikaner zurück. Für diese gute Tat erhielt er zwei Dollar. Ächzend ließ sich der Amerikaner in den Wagen fallen, aber bevor der Taxifahrer sich hinter das Steuer setzte, machte er drei Schritte auf Tawan zu und hielt wortlos die Hand auf. Es war sinnlos, sich zu streiten – Tawan gab dem Taxifahrer zwei Dollar, und als das Auto abfuhr, fühlte sich Tawan glücklich wie seit Jahren nicht. Seit Monaten war er durch Kalkutta gegangen, um einen anderen Platz zum Überleben zu finden, und als er die Hauswand der Punjab National Bank entdeckte, wußte er, daß sein ferneres Leben von dieser Hauswand abhing.
»Ich habe mitgeholfen, ein Frachtschiff zu entladen«, antwortete er auf die Frage des Lieutenant. »Ein guter Job.«
»Und dafür bekommst du zehn Dollar?«
»Ich habe mich auch gewundert, und deshalb frage ich, Sahib, ob er auch echt ist.«
»Wie soll ich das feststellen?«
»Sehen Sie sich die zehn Dollar genau an.« In Tawans Augen trat ein listiges Blinzeln. »Wenn er unecht ist, behalten Sie ihn, Sahib, und werfen ihn weg. Ich komme morgen wieder.«
Der Lieutenant verstand sofort, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und rührte die Dollarnote nicht an.
Tawan wartete, aber dann brach er das belastende Schweigen. »Man könnte darüber nachdenken«, sagte er, »daß zehn Prozent meines Einkommens an der Hauswand der Punjab National Bank überflüssig sind. Ich sagte ja schon: Es ist ein guter Platz für Geschäfte.«
»Hinaus!« schrie der Lieutenant und hieb mit der Faust auf den Zehn-Dollar-Schein. »Du hast mir das Zimmer genug vollgestunken!«
Zufrieden verließ Tawan das Polizeirevier. Natürlich kam er am nächsten Tag nicht wieder, um sich nach den Dollars zu erkundigen, er kaufte sich vielmehr einige schöne, sogar gehobelte Bretter, Nägel, Schrauben, Stahlklammern und eine große Kunststoffplane und hämmerte sein neues Zuhause an die Wand der Bank.
Es gab sofort Ärger. Drei Angestellte der Bank stürzten sich auf das Holzdach und wollten es abreißen, aber Tawan war ein kräftiger Bursche, seine Muskeln waren durch die Hafenarbeit gut ausgebildet, aber er brauchte sie gar nicht zur Verteidigung seiner neuen Wohnung, und so sagte er höflich: »Brüder, nehmt die Hand von meinem Dach!« Als die Drei nicht darauf hörten, löste er das Problem auf einfache Weise: Er trat dreimal zu, jedesmal gezielt in den Unterleib, was auch den härtesten Mann zu Boden zwingt.
Die Punjab National Bank versuchte die letzte Möglichkeit, Tawan loszuwerden, auch wenn man wußte, daß es keinen Sinn hatte: Sie erstattete Anzeige bei der Polizei. Wie erwartet, erschien kein Polizist, und wenn mal einer an der Bank vorbeischlenderte, dann blickte er auf die andere Straßenseite. Bei zehn Millionen Einwohnern hat die Polizei von Kalkutta anderes zu tun, als Holzdächer einzureißen – jeden Tag gibt es eine Menge Morde und Einbrüche, die übrigens nie aufgeklärt werden.
Seit dem Tod der Eltern hatte Tawan zusammen mit seiner Schwester Baksa die dreckige Hütte in den Slums bewohnt, aber er hatte sie nur zum Schlafen benutzt. Die Alipurs gehörten zu jenen Slumbewohnern, über die man sich wundert, daß sie überhaupt lebten. Der alte Alipur holte sich das tägliche Essen aus Mülltonnen und von
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