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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihrem Äußeren allerdings eine Empfehlung für ihre irdische Pilgerschaft gegeben.«
    »Ist sie munter?«
    »Nein, eher nachdenklich. Die Kinder Gottes pflegen ernst zu sein.«
    »Nicht wahr, mein Mann wünscht, daß ich sie engagire?«
    »Er hat allerdings gemeint, daß es ein Fingerzeig des Himmels sei, daß ihr Vater in einem Hause gestorben ist, welches dem gnädigen Herrn gehört.«
    »Reden wir aufrichtig. Ist er verliebt in sie?«
    »Gnädige Frau!« rief der Mann, ganz erschreckt die knochigen Hände faltend.
    »Gut! Ich werde sie also nicht engagiren!«
    Dieser plötzliche Entschluß brachte ihn in die allergrößte Verlegenheit.
    »Sie weisen mich zurück? Mein Herz glaubte bereits, ein Hosianna singen zu können –!«
    »Ja. Ich muß Ihnen leider sagen, daß mein Mann ein großer Liebhaber weiblicher Schönheiten ist. Ich engagire in Folge dessen, um ihm gefällig zu sein, nur hübsche Mädchen, welche nicht prüde sind und ihm gefallen. Ihre Mündel kann ich also nicht gebrauchen!«
    Da beeilte sich der Vorsteher zu erklären:
    »Ich besinne mich jetzt glücklicher Weise, daß der Herr Baron sich in recht beifälliger Weise über sie ausgesprochen hat.«
    »So! Er ist ihr also gut?«
    »Ich weiß nicht, welche Deutung ich diesem etwas weltlichen Ausdrucke geben soll.«
    Da ließ sie ein kurzes, lustiges Lachen hören und sagte:
    »So will ich ihn erklären: Mein Mann hat bei dem Anblicke Ihrer Mündel ganz dieselben Gedanken und Wünsche, welche Sie jetzt in diesem Augenblicke haben, indem Sie mich hier vor sich liegen sehen.«
    »Jesus, mein Heiland! Was denken die gnädige Frau!«
    »Pah! Sprechen wir ehrlich! Ich will Ihre Mündel zu mir nehmen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie sich jetzt mir gegenüber nicht in eine Manier werfen, welche Ihrem inneren Wesen fremd ist. Leute, welche sich kennen und durchschauen, dürfen nicht Komödie mit einander spielen. Sagen Sie aufrichtig: Würde Ihnen ein Kuß von mir unangenehm sein?«
    Er wußte jetzt wirklich nicht, was er antworten solle. Er rieb sich die Hände, wand sich hin und her und stotterte endlich: »Gnädige Frau, ich halte Sie allerdings für meine Schwester in dem Herrn. Als Bruder würde ich mir wohl einen solchen Erweis der Zärtlichkeit erlauben dürfen.«
    Da kam ein kleines, schlimmes Teufelchen über sie. Sie erhob sich halb, hielt ihm ihre rechte Wange entgegen und sagte: »Gut, mein lieber Bruder in dem Herrn, kommen Sie her und geben Sie mir einen herzhaften Kuß auf die rechte Wange!«
    Da stieg ihm das Blut in die Wangen. War es wahr? Er sollte dieses herrliche Weib küssen dürfen?
    »Gnade!« stammelte er. »Ein solcher Scherz –!«
    »Es ist kein Scherz! Küssen Sie, sonst geht die Zeit vorüber. Dann ist es zu spät!«
    Er warf ihr einen gierig forschenden Blick zu. Er sah, daß es ihr Ernst sei, und da fuhr er denn heftig auf sie los und drückte seine Lippen auf ihre Wange. So Etwas hätte er ganz und gar nicht für möglich gehalten!
    Sie legte sich wieder in ihre vorige Stellung zurück und sagte:
    »So dürfen Sie mich küssen als Bruder in dem Herrn. Wären sie eine rein menschliche Person, ohne diese Zuthat von Frömmigkeit und Heiligkeit, so hätte ich Ihnen erlaubt, mich zu umarmen und auf den Mund zu küssen. Sie sind ein schöner Mann, und der meinige ist mir nach und nach fremd und immer fremder geworden.«
    Diese Worte klangen in seinen Ohren wie Gesang der Cherubim und Seraphim. Er riß die Augen weit auf, um die ganze, vor ihm ausgebreitete Schönheit in sich aufzunehmen und fand dabei den Muth zu den Worten: »Ich bitte dringend um Aufrichtigkeit, gnädige Frau! Sprechen Sie im Scherze oder im Ernste mit mir?«
    »Im Ernste, mein Lieber!«
    »Mein Lieber!« Diese beiden Worte gingen ihm durch Leib und Seele, durch Mark und Bein. Seine Augen funkelten. Er trat einen Schritt näher.
    »Ich würde Sie umarmen dürfen?«
    »Ja.«
    »Und küssen!«
    »Und küssen!« nickte sie.
    »Gut, so will ich mein Amtsgewand abwerfen, solange ich bei Ihnen bin. Der Mensch ist zunächst für die Erde und dann erst für den Himmel geschaffen, und den einzigen Himmel auf Erden findet man nur durch ein schönes, liebevolles Weib!«
    Er streckte die Hände aus; er wollte sich ihr nähern. Sie machte aber eine abwehrende Handbewegung und gebot: »Halt! So schnell und leicht nicht. Jede Liebe muß verdient sein! Sagen Sie zunächst, ob mein Mann in diese hübsche Marie Bertram wirklich verliebt ist.«
    »Er ist ganz verteufelt auf

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