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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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möglich sei, ganz in ihn einzudringen. Und grad als sie so eng umschlungen bei einander saßen, wurde die Thüre geöffnet und der Baron trat ein.
    Ella erschrak nicht im Geringsten. Sie gab sich kaum die Mühe, ihre Arme von dem Fürsten fortzunehmen. Dieser letztere wurde ebensowenig verlegen. Er erhob sich gleichmüthig von seinem Sitze, um dem Baron eine Verbeugung zu machen.
    »Verzeihung, Durchlaucht!« sagte Dieser. »Ich trete nur für einen Augenblick hier ein!«
    »Du willst zu mir?« fragte sie.
    Ihre Stimme klang sogar eher abweisend, abwehrend, als blos kalt und gleichgiltig.
    »Allerdings zu Dir.«
    »Ist es so notwendig?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Wahrscheinlich? Also Du weißt es nicht gewiß? Dann konntest Du warten, bis ich besser disponibel bin, als grad in diesem Augenblick.«
    »Verzeihe! Der Vorsteher will nicht gern länger warten.«
    »Der Vorsteher? Wohl der fromme Schuster Seidelmann?« fragte sie ironisch.
    »Ja. Er wünscht eine Unterredung mit Dir.«
    »In welcher Angelegenheit?«
    »In Betreff eines Waisenkindes. Du weißt, daß ich als Leiter des Armenwesens gewisse Verpflichtungen habe, denen selbst Du Dich nicht gut zu entziehen vermagst.«
    »Er mag später wiederkommen!«
    Sie wollte sich abwenden, um anzudeuten, daß in den letzteren Worten ihre endgiltige Resolution enthalten sei; aber schon hatte der Fürst seine Handschuhe angelegt. Er sagte: »Bitte, gnädige Frau! Die Angelegenheiten eines Waisenkindes müssen für Jedermann, besonders aber für eine Dame, stets wichtig und unaufschiebbar sein. Meine Zeit ist abgelaufen. Lassen Sie meine Anwesenheit nicht die Ursache sein, den Herrn Vorsteher auf Wartezeit zu stellen. Ich empfehle mich Ihnen, Frau Baronin! Ich grüße Sie, Herr Baron!«
    Er küßte ihr die Hand, verneigte sich leicht vor ihrem Manne und ging. Die beiden Gatten standen einander beinahe zornig gegenüber, sie wegen des gestörten
tête-à-tête
und er der Abweisung wegen, die er von ihr hatte hinnehmen sollen.
    »Kannst Du diesen Herrn nicht anderweit bestellen?« sagte sie.
    »Nein,« antwortete er kurz.
    »Du wußtest doch, daß der Fürst bei mir war!«
    »Allerdings wußte ich das.«
    »Und um eines solchen Mannes willen zwingst Du diesen Cavalier, mich zu verlassen?«
    »Der Besuch des Vorstehers hat für mich ganz dieselbe Wichtigkeit, wie für Dich die Visite des Fürsten.«
    »Aber Du wußtest, daß ich noch nicht Toilette gemacht habe!«
    »Empfängst Du einen Herrn, der erst zum dritten Male Zutritt nimmt, in dieser allerdings fast mehr als leichten Kleidung, so brauchst Du Dich derselben vor meinem Administrator noch viel weniger zu schämen.«
    »Ich hasse diesen Scheinheiligen!«
    »Und ich liebe ihn!« höhnte er.
    »Leider scheinst Du in neuester Zeit Alles zu lieben, was ich hasse!«
    »Ganz dasselbe habe ich Dir zu sagen. Dieser Fürst ist mir ganz und gar nicht sympathisch, ganz und gar nicht willkommen!«
    »Ah! Warum?«
    »Er ist eine Schlange!«
    »Pah! Du bist ein Krokodil!«
    »Unsinn!« meinte er sehr ernsthaft. »Glaube nicht, daß ich scherze! Dieser Mann ist so gewandt, so glatt, so kalt, so wenig zu fassen, grad wie eine Schlange. Er macht auf mich den Eindruck, als ob er uns nur deshalb besuche, um einen Biß seiner Giftzähne anzubringen.«
    »Du irrst!« antwortete sie. »Er kommt nur meinetwegen!«
    Er zuckte die Achsel, schüttelte den Kopf und fragte:
    »Meinst Du wirklich, daß er in Dich verliebt ist?«
    »Ganz und gar! Du hast es ja gesehen!«
    »Ja. Ich überraschte Euch in einer außerordentlich innigen Umarmung! Na, ich will es glauben. Hübsch bist Du!«
    Er überflog ihre Gestalt mit einem prüfenden Blicke. Sie aber zog die schöne Schulter empor, machte ein Mäulchen und sagte: »Hübsch? Pah!«
    »Nun, meinetwegen sogar schön! Einen Mann zu verführen, dazu hast Du das Zeug. Uebrigens gebe ich es zu, daß der Fürst ein schöner, und, was noch mehr bedeutet, ein interessanter Mann ist.«
    »Ich hoffe, Du gönnst ihn mir!«
    »Ja, sobald Du mir auch meine kleinen Vergnügungen gönnst. Uebrigens habe ich in Betreff seiner ein Wort mit Dir zu sprechen.«
    »Doch jetzt nicht gleich, sondern wann?«
    »Warum jetzt nicht?«
    »Ich denke Dein würdiger Vorsteher hat keine Zeit?«
    »Für mich ist er stets zu warten bereit. Ich habe gehört, daß der Fürst die Ankunft von ungeheuren Summen erwartet –«
    »Ah!« fiel sie ein. »Willst Du etwa –«
    »Warum nicht?«
    »Es dürfte Dir nicht gelingen!«
    »Welchen Grund

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