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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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angerichtet! Der Fleck läßt sich nicht entfernen. Der Chemiker sagt, daß es nicht ein Oel, sondern eine geradezu raffinirte Mischung verschiedener Fette und Oele sei. Er meint, daß der Fleck mit Fleiß gemacht worden ist!«
    Sie schien jetzt eine Bemerkung zu erwarten; da Marie aber schwieg, so fuhr sie fort:
    »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß die Stickerei für die Frau Baronin von Helfenstein ist. Diese hat sämmtliche Auslagen getragen. Das Material wird ungefähr vierzig Thaler gekostet haben. Ich getraue mich nicht hin zu ihr. Sie mögen selbst gehen, und den Sturm aushalten. Hier ist das Paquet!«
    Marie griff zu und drehte sich um, sich wortlos zu entfernen. Das lag aber nicht im Plane dieser Dame.
    »Halt!« rief sie. »Bleiben Sie noch! Der Schwester und Geliebten von zwei Dieben darf ich das nicht allein anvertrauen. Es wird Jemand mit Ihnen gehen, um dafür zu haften, daß nichts verloren gehe. Warten Sie also noch!«
    Auch diese Demüthigung nahm Marie wortlos hin. Nach einiger Zeit wurde ihr ein Arbeitsmädchen beigegeben, um sie zur Baronin zu begleiten. Dort angekommen, wurden Beide vorgelassen. Marie sprach kein Wort; die Andere mußte die Angelegenheit vortragen. Die Baronin gerieth in einen außerordentlichen Zorn. Sie hatte Monate lang auf diese Stickerei gewartet, um sie zu dem nächsten Weihnachtsfeste anzulegen, und nun war das unmöglich geworden. Sie erklärte den beiden Mädchen, daß sie mit ihnen nichts zu thun habe, sie sollten die Arbeit wieder mitnehmen; sie selbst aber werde sich wegen des Schadenersatzes an die Principalin halten.
    Auch diesen Sturm ließ Marie über sich ergehen, ohne ein Wort zu sprechen. Und als sie während des Rückweges den Mund ebenso wenig öffnete, sagte ihre Begleiterin: »Sie dauern mich. Ich ahne, daß Sie nicht schuldig sind. Was will die Herrin noch mit Ihnen machen? Gehen Sie in Gottes Namen nach Hause Ich werde die Stickerei überbringen.«
    Hierauf ging Marie schweigend heim. Sie schritt wie im Traume der Wasserstraße zu und stieg hierauf in ihre Wohnung. Dort setzte sie sich auf die alte Matratze und vergrub das Gesicht in die Hände, bis draußen Schritte ertönten und Jemand eintrat. Sie blickte auf. Es war der Vorsteher, Herr Seidelmann. Sie starrte ihn an und grüßte nicht. Darum gebot er ihr: »Stehen Sie auf!«
    Sie erhob sich, steif und still wie eine Nachtwandlerin. Dann fuhr der Fromme fort:
    »Ich bringe Ihnen eine frohe Botschaft, ein wahres Evangelium. Sie sollen gerettet werden, das ist Gottes Wille. Darum gab er Ihnen einen treuen Sorger zum Vormund, der über Sie wachen wird, daß Sie nicht wieder in die Arme der Sünde fallen. Denn Ihre größte Sünde war die Lectüre von Liebesliedern. Ich selbst bin Ihr Vormund, und Sie haben mir in allen Stücken Gehorsam zu leisten. Verstehen Sie mich?«
    »Ja,« hauchte sie tonlos.
    »Sie werden heute eine neue, glanzvolle Stellung antreten, und zwar in einer hohen, adeligen Familie, zu welcher ich Sie sofort bringen werde. Ihre Siebensachen, welche hier liegen, können Sie dort nicht brauchen. Sie bleiben hier, um im Interesse Ihrer kleinen Geschwister verkauft zu werden. Folgen Sie mir!«
    Er ergriff sie beim Arme und zog sie fort. Sie folgte ihm, ohne den geringsten Versuch, Widerstand zu leisten. Ihr Wille schien ganz gestorben zu sein.
    Sie fuhren in einer Droschke nach dem Palaste des Barons. Dieser war ausgegangen. Darum ließ Herr Seidelmann sich bei der Baronin melden. Als diese ihn mit dem Mädchen eintreten sah, fragte sie: »Herr Vorsteher, kommen Sie etwa, mich zu erbitten? Dieses Mädchen ist bereits hier gewesen, und ich habe in dieser ärgerlichen Angelegenheit mein letztes Wort gesprochen!«
    »Bereits hier gewesen?« fragte er.
    »Ja. Ich hatte mich auf diese Stickerei wirklich wie ein Kind –«
    »Stickerei?« fiel er ein. »Davon weiß ich nichts. Ich komme ganz und gar nicht wegen einer Stickerei!«
    »Nicht? Weshalb denn?«
    »Ich gebe mir die Ehre, Ihnen dieses Mädchen als die Marie Bertram vorzustellen, von welcher wir gesprochen haben.«
    »Marie Bertram? Ist das möglich!« rief die Baronin ganz erstaunt. »Das ist ein eigenthümliches Zusammentreffen!«
    Sie musterte das Mädchen sehr aufmerksam, schüttelte den Kopf und fragte dann:
    »Fräulein Bertram, kennen Sie den Baron von Helfenstein?«
    »Nein,« antwortete Marie leise.
    »Sie haben aber wohl von ihm gehört?«
    »Ja.«
    »Was?«
    »Unser Wirth.«
    »Was ist Ihnen, warum sprechen Sie nicht

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