Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
winden,
    Sein Angesicht zu schau’n und dann
    Im fernen Westen zu verschwinden.‹
     
    So hat er auch drüben gestanden und nach diesem Fenster herüber geblickt am Abende des Einbruches. Er hat den Verbrecher bemerkt und ist herüber gestürzt, die Herrliche zu retten. Der Lohn ist ihm dafür geworden: Er liegt im Kerker, gefangen, gefesselt, mit irrem Geiste. Er hat die ›Nacht des Südens‹, die unvergleichliche, gedichtet und ist in die gräßliche Nacht des Wahnsinns gefallen!«
    Er hatte still, fast leise gesprochen; aber sein Auge leuchtete und seine Lippen bebten dabei. Fanny hatte ihm wortlos zugehört; sie war bleicher und bleicher geworden. Zuletzt hatte sie die Hand auf die Lehne des Stuhles gelegt, und jetzt sank sie auf den Sitz nieder, still, wortlos. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und bewegte sich nicht.
    »Fanny, Fanny! Mein Kind!« rief ihre Mutter, indem sie herbeieilte und den Arm um sie schlang.
    »Fanny, Mädchen! Was hast Du?« fragte der besorgte Vater.
    Sie antwortete nicht; aber bald nahm sie die Hände weg; ihr Gesicht war blutleer; ihre dunklen Augen starrten unter dem Eindruck ihrer tief inneren Bewegung zu dem Fürsten empor, und fast tonlos fragte sie: »Durchlaucht, ist es wahr?«
    »Ich vermuthe es.«
    »Er ist Hadschi Omanah?«
    »Ja.«
    »Gott, mein Gott!«
    Jetzt löste sich der Druck von ihrer Brust; sie fiel in ein bitteres, herzbrechendes Schluchzen. Niemand störte sie; man ließ sie gewähren. Endlich bat sie mit zitternder Stimme:»Sprechen Sie weiter!«
    Der Assessor war den Worten des Fürsten mit vollster Aufmerksamkeit gefolgt. Es wurde ihm klar, was dieser meinte; er war voller Bewunderung über den Scharfsinn dieses seltsamen Mannes; er wendete sich zu ihm und bemerkte: »Eigenthümlich! Es hat sich als einziges Eigenthum des Gefangenen der Band von Hadschi Omanah vorgefunden, und zwar mit Randbemerkungen, deren Geistesreichthum mich erstaunen ließ.«
    »Ein neuer Beweis, daß ich Recht habe.«
    »Aber, Durchlaucht, wie kommen Sie zu dieser Sicherheit der Ueberzeugung, daß Bertram der Dichter jener Lieder ist?«
    »Aus drei Gründen. Erstens, weil er mir sagte, daß er für Zimmermann einen Band Gedichte geschrieben habe.«
    »Zweitens?«
    »Die Persönlichkeit Fräulein Fanny’s, auf welche allein sich das Nachtgedicht beziehen kann.«
    »Und drittens?«
    »Der Umstand, daß er selbst im geistesirren Zustande dieses Gedicht recitirt. Herr Assessor, Sie haben Hadschi Omanah im Gefängnisse. Sein Verleger ließ ihn verhungern, und für Die, welche er zu retten suchte, ward er in Ketten gelegt!«
    Da sprang Fanny auf und rief:
    »Er muß frei sein: er soll frei sein! Herr Assessor, ich bitte Sie, geben Sie ihn heraus!«
    »Kind, Kind, sei nicht so aufgeregt!« bat ihr Vater. »Was Du da verlangst, ist unmöglich!«
    »Unmöglich zwar für heute,« fügte der Assessor bei; »aber ich werde dafür sorgen, daß die Stunde der Erlösung baldigst schlägt. Zunächst ist das Resultat des Begräbnisses abzuwarten.«
    »Ich gehe mit!« rief Fanny.
    »Kind! Tochter!« warnte der Vater.
    »Durchlaucht,« wendete sie sich energisch an den Fürsten, »ich halte Sie beim Worte! Sie werden mich abholen!«
    »Gewiß! Ich hoffe, Ihre Eltern werden es gestatten!«
    »Ich werde meine Erlaubniß nun allerdings nicht länger verweigern,« antwortete der Oberst; »aber wissen müßte ich gewiß, daß Bertram wirklich Hadschi Omanah ist.«
    »Und wenn er es nicht ist, soll er da nicht gerettet werden dürfen?« fragte der Fürst. »Der Anblick von Fräulein Fanny, die er in seinem letzten lichten Augenblicke gesehen hat, muß nothwendiger Weise von Einfluß auf ihn sein.«
    »Man bringe ihn her!«
    »Herr Oberst!« bat der Assessor.
    »Gut, ja gut! Ich habe nichts dagegen!«
    »Man sollte morgen früh den Buchhändler Zimmermann in die Zelle führen,« bemerkte der Fürst. »Er müßte ihn recognosciren.«
    »Ich würde das veranlassen,« antwortete der Assessor. »Leider aber weiß ich, daß er verreist ist. Man muß also warten. Doch hoffe ich, daß ihm morgen die Ueberraschung sein Bewußtsein zurückbringt!«
    Er hatte seine Sendung erledigt und verabschiedete sich. Auch der Fürst ging nach einiger Zeit. Er sah, in welcher inneren Aufregung sich Fanny befand; er sah dann die Gesichter ihres Vaters und ihrer Mutter umdüstert und winkte den Beiden Milde und Schonung zu.
    Als Fanny dann sich in ihrem Zimmer befand, trat sie an das Fenster und blickte nach dem

Weitere Kostenlose Bücher