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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Bertram also erblickte den Einbrecher von Weitem; er faßt den Entschluß, die That zu vereiteln. Die Seinen können ihm dabei nicht helfen, darum hält er es für besser, ihnen gar nichts zu sagen, um sie nicht zu beunruhigen. Er ergreift das Messer, rennt die Treppen hinab und in den Hof; dort liegt die Leiter. Er klimmt hinauf, springt drüben hinab und eilt auf die Hinterseite dieses Hauses zu. Dort erblickt er die Leiter, welche zum Fenster emporführt. Er klettert eiligst hinan, findet das Fenster offen, steigt ein und sieht den Einbrecher bei seinem Raube. Er will ihn hinweg schleudern, reißt ihm dabei die Kette aus der Hand, und in diesem Augenblicke dringen die Polizisten in das Zimmer. Sie sehen ihn mit Kette und Messer; sie halten ihn also für einen Complicen des Riesen und nehmen ihn gefangen. Ist das nicht denkbar, Herr Assessor?«
    Der Beamte war den Worten des Fürsten mit größter Spannung gefolgt. Jetzt sagte er:
    »Durchlaucht, ich bewundere höchst Dero außerordentliche Kombinationsgabe. Es ist, als ob man bei der Handlung zugegen wäre. In diesem Augenblicke lerne ich dem Ereignisse allerdings eine ganz andere Seite abzugewinnen.«
    »Das soll mich außerordentlich freuen!«
    »Ich erinnere mich, daß zwei der Polizisten sagten, welche am hinteren Thore Wache hielten daß sie einen Menschen eiligen Laufes von drüben herkommen sahen, welcher die Leiter erklimmte. Darauf hörten sie oben einen Ruf ›Zurück, Elender!‹ oder so ähnlich, und dann –«
    »Ja,« fiel Fanny schnell ein, »das waren die Worte, welche auch ich gehört habe.«
    »Hat einer der Polizisten sie gesprochen?« fragte der Fürst.
    »Ich muß mich erkundigen,« antwortete der Assessor.
    Der Fürst zuckte die Achsel und sagte in höflichem Tone, dem aber doch eine Art von Strenge anzuhören war:
    »Diese Antwort hätte ich nicht erwartet!«
    »Warum?«
    »Weil gerade darauf, wer diese Worte gesprochen hat, so sehr viel ankommt.«
    Man sah, daß der Beamte mit sich selbst kämpfte. Er fühlte gar wohl den Vorwurf, welcher in diesen Worten lag; aber er war zu pflichtgetreu, um sich von einem falschen Zorne übermannen zu lassen, und er gestand in edler Freimüthigkeit: »Ich habe ganz dieselben Worte aus dem Munde des phantasirenden Bertram gehört.«
    »Wirklich? Ah, so ist es höchst wahrscheinlich, daß er es ist, der diesen Ruf ausgestoßen hat. Und in diesem Falle muß ich annehmen, daß meine Combination das Richtige getroffen hat.«
    »Es sollte mich herzlich freuen, wenn sich dies bewahrheitete. Diese Nummer Elf der Wasserstraße ist vom Unglück –«
    »Nummer Elf?« fiel der Fürst ein.
    »Ja, Durchlaucht.«
    »Nummer Elf! Wasserstraße Nummer Elf! Robert Bertram Wasserstraße Nummer Elf! Ah! Wo habe ich diese Adresse doch bereits einmal vernommen?«
    Er blickte nachdenklich vor sich nieder und wiederholte diese Worte noch einige Male; dann aber sprang er plötzlich auf. Ueber sein Gesicht leuchtete es wie eine helle Erinnerung. Er wendete sich an den Assessor: »Er declamirt in seinen Phantasien das Gedicht von der Nacht des Südens?«
    »Ja, Durchlaucht.«
    »Er spricht das Wort ›Nacht‹ öfters aus?«
    »Ja, und zwar in einem geradezu anbetenden Tone.«
    »Erinnern Sie sich, in welchem Verlage die Gedichte von Hadschi Omanah erschienen sind?«
    »Bei Zimmermann hier.«
    »Ah! Welch’ eine Entdeckung! Welch’ eine Entdeckung! Herr Assessor, ich setze eine Million Gulden zum Pfande, daß dieser Robert Bertram unschuldig ist, vollständig unschuldig!«
    Diese Worte brachten einen außerordentlichen Eindruck hervor, zumal der Fürst sich ganz von seiner Idee begeistert zeigte. Seine Augen leuchteten auf Fanny in einem räthselhaften Lichte.
    »Ich möchte das gern beweisen können,« sagte der Beamte. »Aber woher den Beweis nehmen?«
    »Die Psychologie liefert den Beweis, die Psychologie, Herr Assessor!«
    »Darf ich fragen, auf welche Weise?«
    »Jetzt nicht, hier nicht, später, morgen! Aber ich bin vollständig überzeugt, Ihnen den Beweis liefern zu können. Lassen Sie mich lieber auf meinen ersten Punkt zurückkommen, auf die Annahme, daß der ›Hauptmann‹ dem Riesen aus dem Gefängnisse geholfen hat. Wer, Herr Assessor, hat die Anzeige gebracht, daß ein Einbruch stattfinden soll?«
    »Ein Kunstmaler Brenner.«
    »Woher wußte er es?«
    »Vom Fürsten des Elendes.«
    »Das ist es, was ich hören wollte. Dieser räthselhafte Fürst des Elendes scheint besser unterrichtet zu sein, als selbst die

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