Der verlorne Sohn
giebt.«
»Das ist ja gar nicht weit von hier. Woher wissen Sie es?«
»Ich hörte davon. Finden Sie es hier sehr kalt?«
»Gar nicht. Hier unter den dichten Zweigen ist es nach Verhältniß sogar ganz behaglich.«
»Sie würden es also noch ein Stündchen hier aushalten können?«
»Ganz gut.«
»So werde ich gehen.«
»Nach dem Finkenfang, wie ich vermuthe?«
»Ja. Es ist meine Pflicht. Doch halt! Man kommt!«
Es kam wieder Einer, der beim Scheine des Streichhölzchens den Zettel las und sich dann entfernte.
Als er fort war, kroch Arndt unter dem Baume hervor.
»Aber werden Sie den Finkenfang auch wirklich finden?« fragte Eduard, der besorgt um seine neue Bekanntschaft war.
»Ganz gewiß. Verhalten Sie sich sehr ruhig, bis zu meiner Rückkehr. Ich würde noch warten, aber vom Finkenfang bis zur Hainschlucht ist es eine gute Stunde. Man muß die Grenzer also sofort benachrichtigen, wenn der Coup vereitelt werden soll. Ich kehre wohl noch vor einer Stunde zurück. Ah! Pst!«
Er duckte sich schleunigst hinter die Fichte nieder, denn es ließen sich Schritte hören. Zwei Männer kamen herbei. Sie trugen keine Masken vor den Gesichtern, wie Diejenigen, welche bereits hier gewesen waren. Ihre Züge waren sehr deutlich zu erkennen.
Der Ältere, welcher einen langen grauen Bart trug, langte nach dem Kästchen und las beim Scheine des Streichholzes den Zettel.
»In den Haingrund also!« sagte er. »Wir haben noch Zeit. Komm Junge!«
Sie gingen.
»Herr Arndt! Sind Sie noch da?« flüsterte Eduard.
»Ja.«
»Das waren die Beiden, die in der Schänke saßen.«
»Schön! Ich kenne sie. Sie brauchen sich also nicht nach ihnen zu erkundigen. Ich muß fort.«
Er huschte von dannen, den Beiden nach. Er hatte sich ihnen sehr rasch so weit genähert, daß er sie deutlich sehen konnte. Sie schritten in gerader Richtung auf die Straße zu und bogen in dieselbe ein, anstatt direct sich nach dem Haingrunde zu halten.
Er folgte ihnen auch hier. Als er die Straße erreicht hatte, ließ er seine Schritte hörbar werden. Sie blieben stehen, blickten sich um und ließen ihn herankommen.
»Guten Abend!« grüßte er.
»Guten Abend!« dankten sie.
»Wohin des Weges?« fügte der Alte hinzu.
»Nach dem Haingrund.«
Da machten Beide eine Bewegung der Ueberraschung.
»Was wollen Sie dort?« fragte der Junge, der aber wohl auch über vierzig Jahre zählte.
»Das!«
Bei diesen Worten wischte Arndt sich mit der rechten Hand das rechte Auge.
»Ach so! Dann sind wir also Kameraden! Aber warum tragen Sie denn keine Maske?«
»Warum auch Sie nicht?«
»Wir sind fremd hier. Wozu also überflüssiges Verstecken?«
»Auch ich bin fremd. Mich würde man wohl weniger erkennen, als Sie. Ich warte auf Sie.«
»Sie? Warten auf uns? Wieso? Hat Ihr Waldkönig –«
Er hielt inne. Arndt stutzte. »Ihr Waldkönig« hatte der Alte gesagt. Gab es denn mehrere Waldkönige? War das der Fall, so ließ sich allerdings sehr Vieles erklären.
»Nun? Was meinen Sie?« fragte Arndt.
»Hat Ihr Waldkönig von uns gesprochen?«
»Donnerwetter! Kennen Sie ihn?«
»Ja.«
»Und wir noch nicht! Das ist stark! Also, Sie wissen, wer wir sind?«
»Ganz genau.«
»Das glaube ich nicht eher, als bis Sie unsere Namen nennen!«
»Sie sind der Schmied und Gastwirth Wolf aus Helfenstein, und dieser Mann ist Ihr Sohn.«
»Weiß Gott, er kennt uns! Hören Sie, ich ahne, daß Sie der König sind! Der hiesige nämlich!«
»Vielleicht!«
»Was, vielleicht? Reden Sie von der Leber weg, damit wir über das Geschäft sprechen können! Sind Sie es oder nicht?«
»Nun ja, ich bin es!«
»Wie kommen Sie auf die heutige Kühnheit? Haben Sie den Befehl dazu vom Hauptmanne erhalten?«
»Ja.«
»So erklären Sie sich über die Anordnungen, welche Sie bereits getroffen haben! Wir müssen das wissen!«
Jetzt sah sich Arndt vor dem Laufe einer Kanone, deren Schuß sofort losgehen konnte. Er hatte genug gehört. Er beschloß, sich damit zu begnügen. Das war besser, als wenn er sich in eine Gefahr begab, in der er ja wohl gar umkommen konnte.
»Warten Sie!« sagte er darum. »Ich habe noch Einen bestellt, welcher mit dabeisein muß. Folgen Sie mir!«
»Wohin?«
»Zu dem Manne, von welchem ich sprach.«
Er ging voran, und sie folgten ihm.
In nicht sehr großer Entfernung vom Forsthause hatte der Förster eine Lichtung ausroden lassen, um junge Pflanzen zu ziehen. Er hatte seine Freude an den Bäumchen; er befand sich gern bei ihnen und hatte sich daher
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