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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ellbogen juckt, so laufen sich gleich zehn Ärzte die Beine weg; wenn aber ein armes, elendes Volkskind verhungert und erstickt, so ist nicht Einer zu haben.«
    »Du mußt ihn anzeigen, und zwar sofort!« rieth der zornige Müller. »Er muß bestraft werden!«
    »Das bilde Dir nicht ein. Ein Arzt braucht gar nicht zu kommen, wenn er gerufen wird.«
    »Wozu aber ist er da?«
    »Für die Reichen!«
    »Aber wir haben doch auch Armenärzte!«
    »Die aber auch reiche Patienten behandeln, und da kommt der Reiche natürlich vorher. Oder es liegt so ein Doctor in seinem weichen Bette und es träumt ihm, daß er den Schnupfen hat. Da klingelt es, und er soll zu einem armen Teufel kommen, der sich verbluten will. Was antwortet der Doctor? Daß er nicht kommen kann, weil er gerade jetzt im Schweiße liegt; das sei lebensgefährlich für ihn, und so ein kostbares Leben müsse er doch seinen Patienten zu erhalten suchen.«
    »So ist es, obgleich nicht zu bestreiten ist, daß es auch viele brave Ärzte giebt, die ganz ohne Ansehen der Person und auch ganz heldenhaft ihre Pflicht thun. Etwas Leichtes und Angenehmes ist es nicht, Pockenkranke zu behandeln.«
    »Das weiß ich gar wohl. Meine Frau kann weder sehen noch hören noch schmecken oder riechen. Und so ist es auch mit den Kindern. Nun habe ich die Leiche. Die muß doch begraben werden.«
    »Das macht Kosten. Der Sarg, das Grab, der Pfarrer, die Leichenfrau, Alles das will bezahlt sein!«
    »Und ich habe doch keinen Kreuzer in der Tasche!«
    »Gar nichts? Wirklich?«
    »Keinen rothen Heller. Und dabei verordnet der Doctor Milch und Bouillon und verschreibt eine Medizin, von welcher ich an einem Tage für drei Gulden verbrauchen kann.«
    »Hast Du nicht den Seidelmann?«
    »Den? Laßt mich in Ruhe mit ihm!«
    »Er kann Dir doch gern einen Vorschuß geben. Er hat es Deinen Mustern zu verdanken, daß er bei seinen Auftraggebern einen solchen Stein im Brette hat.«
    »Ich habe es versucht; er aber hat mich abgewiesen.«
    »Das ist doch kaum zu glauben!«
    Wilhelmi erzählte, wie es ihm heute bei Seidelmann gegangen war Als er geendet hatte, schlug der Müller auf den Tisch und rief: »Das ist schlecht von ihm, grundschlecht! Ich habe es ihm nicht zugetraut, weil er so freundlich gegen uns gewesen ist.«
    »Gegen Euch?«
    »Ja.«
    »Wann denn und wie?«
    »Nun, er hat uns Arbeit geschickt. Wir mahlen für ihn; darum geht heute nach langer Zeit einmal unsere Mühle.«
    »Für ihn? Wozu braucht er denn Mehl, und woher nimmt er die Körner? Seine Familie ist doch nicht so groß, daß er wegen des Brodmehles zum Müller muß!«
    »Es ist eine Speculation. Er hat Getreide von jenseits der Grenze erhalten; ich mahle es, und er verkauft das Mehl im Großen. Er sagt, daß dabei ein Geld zu verdienen sei.«
    »Wo liegt denn das Getreide?«
    »Droben in der Dampfmühle. Die können es aber nicht ermachen, und darum soll ich mithelfen. Ich habe für längere Zeit zu thun, und da hat er, um das Geschäft fest zu machen, mir gleich hundert Gulden Vorschuß gegeben.«
    »Hm! Das sieht ihm doch gar nicht ähnlich!«
    Die Müllerin warf ihrem Mann einen verstohlenen Blick zu, winkte zu seinem Bruder hinüber und machte dann, aber so, daß der Letztere es nicht bemerken konnte, mit den Fingern die Bewegung des Geldzählens. Ihr Mann nickte ihr beistimmend zu und sagte: »Du siehst also, daß wir für die nächste Zeit keine Sorge zu haben brauchen. Ich habe so sehr viel Geld nicht einmal nöthig. Zwanzig Gulden kann ich ganz gut entbehren. Wenn Du sie brauchst, kannst Du sie haben.«
    Das electrisirte den Musterzeichner. Er sprang von seinem Stuhle auf, blickte die Beiden mit blitzenden Augen an und fragte in freudigstem Tone: »Ist’s wahr?«
    »Gern!«
    »Und auch Du, Schwägerin?«
    »O,« antwortete sie; »ich habe nichts dagegen!«
    »Wirklich nicht? Wirklich?«
    »Nein. Ich habe dem Manne ja erst zugewinkt, daß er Dir es anbieten soll!«
    »Ha, Ihr seid gut! Und das werde ich Euch niemals vergessen. Nun kann ich Athem holen! Nun ist mir leicht. Meine armen Leute können essen und trinken, und auch die Medicin sollen sie haben. Ich bin wie neugeboren. Es ist geradeso, als ob mir Engel geholfen hätten.«
    »Na, na,« lächelte die Müllerin. »Wir sind nur Menschen, und noch dazu mit Dir verwandt. Da ist es ja unsere Pflicht, zuzugreifen, wenn es möglich ist!«
    »Das ist wieder ein Beweis, was für eine gute Schwägerin ich habe! Aber, laßt mich gehen, Ihr Leute! Daheim sitzen und liegen

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