Der verlorne Sohn
Schloß?«
»Waldau.«
»Wem gehört es?«
»Dem Herrn Major von Scharfenberg.«
In den Augen des Barons blitzte es freudig auf.
»Wissen Sie, ob der Major zu Hause ist?«
»Ja. Er ist heute unwohl.«
»Danke!«
Er trieb sein Pferd von Neuem an und galoppirte dem Schlosse entgegen.
»Ein Feind von mir, dieser Major von Scharfenberg,« sagte er zu sich. »Er glaubt, daß ich seinen Sohn zum Spiel verleitet habe. Aber er soll mir dennoch andere Kleider geben. In dieser Uniform kann ich nicht entkommen. In Civil kann ich laufen; das ist sicherer als Reiten oder Fahren.«
Das Thor stand offen. Er ritt im Galopp in den Hof und hielt vor dem Eingange. Ein Bedienter kam herbei und griff nach dem Zügel.
»Der Herr Major da?« fragte der Baron.
»Aufzuwarten.«
»Wo?«
»Hier eine Treppe hoch, links in der Bibliothek.«
»Wo sind die Gemächer des Herrn?«
»Hinter der Bibliothek.«
»Führen Sie das Pferd in den Stall!«
»Soll ich es nicht erst verschnaufen lassen?«
»Nein. Verstecken Sie es! Es kommen noch zwei Herren hinter mir. Verheimlichen Sie es, daß ich bereits vor ihnen gekommen bin. Es gilt eine Wette.«
Er stieg die Treppe empor. Auf einem breiten, hellen Corridor stand ein Tisch, an welchem ein Livreediener saß, der sich beim Anblicke des Offiziers erhob.
»Wen befehlen der Herr Lieutenant anzumelden?« fragte er.
»Gar nicht anmelden! Danke! Will den Herrn Major freudig überraschen.«
»Dann bitte, hier diese Thür.«
Er öffnete eine Flügelthür. Der Baron befand sich in einer Art Vorzimmer und schritt einer zweiten Thür zu. Als er diese geöffnet hatte, befand er sich in der Bibliothek. Dort saß der Major von Scharfenberg an einem Tische, die Zeitung in der Hand.
Der Baron war ziemlich leise eingetreten. Er zog die Thür hinter sich zu, und nun erst blickte der Major von der Lectüre empor. Als sein Auge auf den Eingetretenen fiel, fuhr er von seinem Sitze auf.
»Wer ist das?« fragte er. »Wie ist das möglich!«
Der Baron verbeugte sich und antwortete:
»Darf ich annehmen, daß ich Ihnen nicht unbekannt bin?«
»Das ist nur zu gewiß. Dennoch aber traue ich meinen Augen so wenig, daß ich wirklich um Ihren Namen bitten muß, mein Herr!«
»Ist das wirklich nothwendig.?«
»Unbedingt. Sie haben sich nicht anmelden lassen.«
»Nun wohl! Baron Franz von Helfenstein!«
Dabei verbeugte er sich abermals.
»Also doch!« sagte der Major, den Kopf stolz hebend. »Das wagen Sie! Das wagen Sie!«
»Welches Wagniß liegt in diesem Besuche?«
»Ah, Sie glauben, daß ich nicht weiß, was geschehen ist?«
Der Baron nahm eine unbesorgte Miene an und sagte:
»Ich kann nicht ahnen, was Sie wissen.«
»Hier steht es groß und breit, hier, hier!«
»Bitte, darf ich es lesen?«
»Ja, lesen Sie! Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.«
Der Baron trat hinzu, beugte sich auf die Zeitung herab und las unter der Rubrik der Telegramme:
»Heute nacht wurde der sogenannte Hauptmann während eines Einbruches bei dem Fürsten von Befour mit seiner ganzen Bande gefangen genommen. Als man seine Verkleidung entfernt hatte, erkannt man in dem berüchtigten Banditen den – Baron Franz von Helfenstein.«
»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Major.
»Ah, was soll ich zu einer Mystification sagen?« fragte der Baron leichthin.
»Mystification?«
»Ja. Was sonst?«
»Das ist stark! Das ist wirklich stark! Haben Sie wohl das heutige Morgenblatt gelesen?«
»Nein.«
»Nun, so sehen Sie sich dieses neueste Telegramm an!«
Er hielt dem Baron die fettgedruckten Zeilen entgegen:
»Heute nacht gelang es dem Baron Franz von Helfenstein, unter Ermordung eines Gefängnißschließers und tödtlicher Verletzung eines Militärpikets zu entfliehen. Er trägt die Uniform eines Infanterielieutenants, und alle Militär-und Polizeikräfte des Landes sind zu seiner Ergreifung aufgeboten. Die Grenze ist so eng besetzt, daß ein Entkommen unmöglich ist.«
Der Baron zuckte nur die Achsel.
»Weiter haben Sie nichts zu sagen?« fragte der Major.
»Ja.«
»Das ist Ihre ganze Antwort?«
»Meine ganze und einzige.«
»Hat man etwa Lügen gedruckt?«
»Nein.«
»Es ist also wahr, was hier steht?«
»Ja.«
»Sie befinden sich also auf der Flucht?«
Bei jeder neuen Frage erhob sich der Ton des Majors zu größerer Stärke.
»Ja, ich bin Flüchtling.«
»Und Sie kommen zu mir?«
»Wie Sie sehen!«
»Zu mir, zu mir! Mensch, Sie sind geradezu wahnsinnig!«
»O, ich glaube
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