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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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der Lösung des anstehenden Problems betraut wird. Vielleicht glaubten meine alten Bekannten von der Regierung, dass ich unzuverlässig geworden war, weil sie es geschafft hatten, mich in Rio aufzuspüren, und dass sie meine Regeln deshalb als bloße Richtlinien auffassten. Falls dem tatsächlich so war, täuschten sie sich. Ich hatte meine Regeln schon früher durchgesetzt, und ich würde es wieder tun.
    Am selben Nachmittag schlenderte ich geflissentlich mit Keiko am Fitnessraum vorbei, und natürlich war mein Freund wieder da, vollführte zur gleichen Zeit wie am Vortag konzentriert seine Lufttritte. Manche Menschen brauchen einen festen Rhythmus und wollen einfach nicht wahrhaben, dass sie dadurch berechenbar werden. Meiner Erfahrung nach werden diese Menschen meist früher oder später aussortiert. In unserer Welt herrscht nun mal der Darwinismus.
    Da die Gelegenheit günstig war, warf ich einen Blick auf das Anmeldeblatt. Sein Name war unleserlich, aber er hatte seine Zimmernummer klar und deutlich hingeschrieben: 812. Eine Raucheretage. Ungesund.
    Ich fragte Keiko, ob es ihr etwas ausmachen würde, ein Weilchen allein shoppen zu gehen. Sie lächelte und erklärte, sie wäre entzückt, was vermutlich der Wahrheit entsprach. Vielleicht dachte sie, ich hätte vor, mal von dem Angebot an Prostituierten zu naschen, das in der Gegend reichhaltig war. Sie ging zweifellos davon aus, dass ich verheiratet war – die daraus resultierende Paranoia, die sie bei mir sicherlich vermutete, würde die Vorsichtsmaßnahmen erklären, die ihr möglicherweise aufgefallen waren –, und ich glaube kaum, dass sie es übermäßig schockierend fand, wenn ich mich auch noch anderweitig verlustieren wollte.
    Als ich ihr nachschaute, wie sie das Hotel verließ und vor dem Eingang ein Taxi in die Stadt nahm, spürte ich plötzlich eine seltsame Zuneigung in mir aufsteigen. Die meisten Menschen würden jemanden, der in Keikos Branche arbeitet, für alles andere als unschuldig halten, doch in diesem Moment war sie für mich die Unschuld in Person. Es war ihr Job, mir Genuss zu verschaffen – das machte sie wirklich vorzüglich –, und für sie ging es während unseres Aufenthaltes in Macau um nichts anderes. Der tödliche Tanz, der sich um sie herum vollzog, entging ihr völlig, sie war wie ein friedlich grasendes Schaf auf der Weide. Ich schwor mir, dafür zu sorgen, dass diese Unschuld noch unversehrt war, wenn wir uns wieder trennten.
    Von einem Telefon in der Hotelhalle aus rief ich Zimmer 812 an. Es ging keiner ran. Ein gutes Zeichen, wenn auch kein endgültiger Beweis: Vielleicht war jemand im Zimmer und hob nicht ab, oder Karate hatte eine falsche Zimmernummer aufgeschrieben, so wie ich es auf jeden Fall getan hätte. Dennoch, es war einen Versuch wert.
    Ich holte mir aus meinem Zimmer ein paar Dinge, die ich brauchen würde, und fuhr dann mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock. Von dort aus nahm ich die Treppe, weil sie weniger benutzt wurde und das Zeugenrisiko verringerte. Versteckt unter dem weiten Armel eines Fleecepullovers war an meinem linken Handgelenk mit Klettband ein Gerät befestigt, das aussah wie ein großer Palm Pilot. Das Gerät, das erstmals im zweiten Golfkrieg zum Einsatz gekommen war, nennt sich Soldier-Vision. Es macht durch die Wände eines Raumes Radarbilder und speist sie in die Einheit am Handgelenk ein. So etwas bekommt man nicht eben im nächstbesten Elektroladen, und dass ich es hatte, war zweifellos einer der Vorteile, den die Arbeit für die CIA mit sich brachte.
    Ich hatte mir gleich nach dem Einchecken im Hotel extra für solche Fälle einen Generalschlüssel besorgt, obwohl ich damals Belghazi im Sinn hatte, nicht Karate. Für die Zimmertüren gab es gelochte Keycards, die aussahen wie etwas dickere, graue Kreditkarten mit einem gestanzten Muster aus zwei Millimeter großen Löchern. Die Keycards steuerten außerdem das Licht in den Zimmern – ein Beitrag des Hotels zum Umweltschutz. Man steckte die Karte in einen Wandschlitz neben der Tür, um die Lampen im Zimmer anzuschalten, und wenn man sie wieder herauszog, weil man gehen wollte, ging nach einer Minute automatisch das Licht aus. Die Zimmermädchen besaßen natürlich einen Generalschlüssel, und es hatte höchstens sechs Sekunden gedauert, um im Vorbeigehen die Keycard aus dem Leseschlitz eines Zimmers zu ziehen, in dem gerade saubergemacht wurde, mit einem Klumpen Knetmasse aus einem Spielzeugladen einen Abdruck davon zu machen und sofort

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