Der Verschollene
wo Sie das Nötige erfahren werden. "
Konnte Karl diese Forderung ablehnen, die von ihm wirklich nur das Geringste an Höflichkeit und Dankbarkeit gegenüber Herrn Pollunder verlangte und die überdies ein sonst unbeteiligter roher Mann stellte, während Herr Pollunder, den es angieng, sich mit Worten und Blicken möglichst zurückhielt?
Und was war jenes Interessante, das er erst um Mitternacht erfahren durfte? Wenn es seine Heimkehr nicht wenigstens um die dreiviertel Stunde beschleunigte, um die es sie jetzt verschob, interessierte es ihn wenig. Aber sein größter Zweifel war, ob er überhaupt zu Klara gehn konnte, die doch seine Feindin war. Wenn er wenigstens das Schlageisen bei sich gehabt hätte, das ihm sein Onkel als Briefbeschwerer geschenkt hatte. Das Zimmer Klaras mochte ja eine recht gefährliche Höhle sein. Aber nun war es ja ganz und gar unmöglich, hier gegen Klara das geringste zu sagen, da sie Pollunders Tochter und wie er jetzt gehört hatte gar Macks Braut war. Sie hätte ja nur um eine Kleinigkeit anders sich zu ihm verhalten müssen und er hätte sie wegen ihrer Beziehungen offen bewundert.
Noch überlegte er das alles, aber schon merkte er, daß man keine Überlegungen von ihm verlangte, denn Green öffnete die Tür und sagte zum Diener, der vom Postamente sprang: "Führen Sie diesen jungen Mann zu Fräulein Klara. "
"So führt man Befehle aus", dachte Karl als ihn der Diener fast laufend, stöhnend vor Altersschwäche, auf einem besonders kurzen Weg zu Klaras Zimmer zog. Als Karl an seinem Zimmer vorüber kam, dessen Tür noch immer offenstand, wollte er, vielleicht zu seiner Beruhigung, für einen Augenblick eintreten.
Der Diener ließ das aber nicht zu. "Nein", sagte er, "Sie müssen zu Fräulein Klara. Sie haben es ja selbst gehört. " "Ich würde mich nur einen Augenblick drin aufhalten", sagte Karl und er
-83-
dachte daran, sich zur Abwechslung ein wenig auf das Kanapee zu werfen, damit ihm die Zeit rascher gegen Mitternacht vorrücke. "Erschweren Sie mir die Ausführung meines Auftrages nicht", sagte der Diener. "Er scheint es für eine Strafe zu halten, daß ich zu Fräulein Klara gehn muß", dachte Karl und machte ein paar Schritte, blieb aber aus Trotz wieder stehn.
"Kommen Sie doch junger Herr", sagte der Diener, "wenn Sie nun schon einmal hier sind. Ich weiß, Sie wollten noch in der Nacht weggehn, es geht eben nicht alles nach Wunsch, ich habe es Ihnen ja gleich gesagt, daß es kaum möglich sein wird. " "Ja, ich will weggehn und werde auch weggehn", sagte Karl, "und will jetzt nur von Fräulein Klara Abschied nehmen." "So", sagte der Diener und Karl sah ihm wohl an, daß er kein Wort davon glaubte, "warum zögern Sie also Abschied zu nehmen, kommen Sie doch. "
"Wer ist auf dem Gang?" ertönte Klaras Stimme und man sah sie aus einer nahen Tür sich vorbeugen, eine große Tischlampe mit rotem Schirm in der Hand. Der Diener eilte zu ihr hin und erstattete die Meldung, Karl gieng ihm langsam nach. "Sie kommen spät", sagte Klara. Ohne ihr vorläufig zu antworten, sagte Karl zum Diener leise, aber, da er seine Natur schon kannte, im Ton strengen Befehles: "Sie warten auf mich knapp vor dieser Tür! " "Ich wollte schon schlafen gehn", sagte Klara und stellte die Lampe auf den Tisch. Wie unten im Speisezimmer schloß auch hier wieder der Diener vorsichtig von außen die Tür. "Es ist ja schon halb zwölf vorüber." "Halb zwölf vorüber", wiederholte Karl fragend, wie erschrocken über diese Zahlen.
"Dann muß ich mich aber sofort verabschieden", sagte Karl,
"denn punkt zwölf muß ich schon unten im Speisesaal sein. "
"Was Sie für eilige Geschäfte haben", sagte Klara und ordnete zerstreut die Falten ihres losen Nachtkleides, ihr Gesicht glühte
-84-
und immerfort lächelte sie. Karl glaubte zu erkennen, daß keine Gefahr bestand, mit Klara wieder in Streit zu geraten. "Könnten Sie nicht doch noch ein wenig Klavier spielen, wie es mir gestern Papa und heute Sie selbst versprochen haben?" "Ist nicht aber schon zu spät?" fragte Karl. Er hätte ihr gern gefällig sein wollen, denn sie war ganz anders als vorher, so als wäre sie irgendwie aufgestiege n in die Kreise Pollunders und weiterhin Macks. "Ja spät ist es schon", sagte sie und es schien ihr die Lust zur Musik schon vergangen zu sein. "Dann wiederhallt hier auch jeder Ton im ganzen Hause, ich bin überzeugt, wenn Sie spielen, wacht noch oben in den Dachkammern die Dienerschaft auf. "
"Dann lasse ich also
Weitere Kostenlose Bücher