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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Auszug eines Schreibens von R. Costade (Montréal-Hochelaga) an Herrn Rogatien L. (New York)
    Ich bin selbst dabei gewesen. Mit der Schreibtafel auf den Knien saß ich auf der Rückbank meines Automobils, notierte bei jeder neuen Information die vermutliche Zahl der Opfer und rechnete unseren Anteil aus. Alle fünfzehn Minuten kam einer meiner Männer angerannt und beugte sich über die Wagentür – noch fünf, was sag ich, noch zehn!
    Soucy frohlockte schweißüberströmt: »Das werden gute fünfzig, vielleicht mehr!« Ich konnte es nicht fassen. Er wiederholte die Zahl . Ich hielt es nicht mehr aus und stieg aus dem Wagen .
    Das Feuer wütete vom Keller bis hoch in die Mansarden. Rasend wie ein Besessener stieß es durch die Fenster. Aus diesem Inferno würde niemand lebend herauskommen. Man konnte nur noch beten, dass es nicht auf die Straße übergriff. Klar und deutlich hörten wir das Geschrei der Opfer. Ziemlich seltsame Schreie, die wie schallendes Gelächter klangen, ein entrücktes Heulen. »Das Lachen des Leidens«, wie Soucy es ausdrückte. Das Lachen, das bisweilen in der Hölle zu hören ist, vermute ich .
    Dann sagte er zu mir: »Schauen Sie da, ein Gletscher aus Blut!« Wie wahr. Die Steine hatten sich rot gefärbt, fielen brockenweise von der Fassade und rollten dampfend wie Schlacke auf die Straße .
    »Aber Vorsicht, wenn das einstürzt, gibt’s Panik.«
    »Ich passe gut auf.«
    Ich mischte mich unter die Menge der fassungslosen Gaffer. Eine Szene wie im Zirkus. Die Polizisten versuchten, die Leute auf Distanz zu halten. Einige hatten Kinder auf den Schultern. Grüppchenweise warfen irgendwelche Flegel Steine in die Fenster, stoben auseinander, sobald man sie zu fassen versuchte, und tauchten in der Masse unter. Krankenwagen kamen, andere fuhren ab, bahnten sich mühselig mit bimmelnden Glocken einen Weg. Die Pferde der Feuerwehrleute zogen an ihrem Gespann wie Fische, die am Haken zappeln. Eine Frau im Kostüm, die von einem Schutzmann im Arm gehalten wurde, rief mit irrem Blick einen Männernamen und streckte den Arm in Richtung Gebäude. Schon war Soucy zur Stelle . Die Feuerwehrleute taten, was sie konnten, um die umliegenden Bauten zu besprenkeln .
    Da gab es eine Explosion. Ich spürte die brennend heiße Druckwelle auf meinem Gesicht. Ein Feuerwehrmann wurde zur lebenden Fackel, dann auch ein Pferd. Das arme Tier, das voller Entsetzen davongaloppierte und das Feuer weiterzutragen drohte, musste mit dem Karabiner erlegt werden. Sekunden später stürzte die Hausfassade ein und versperrte den Ausgang, vor dem die Krankenwagen standen. Die Menge wich zurück, ich flüchtete mich in einen Hofeingang. Der Feuerwehrmann, so berichtete man mir, tat sein letztes Röcheln auf einem Karren .
    Ich suchte gerade nervös in meinen Taschen nach meinem Stift, als ich ihn bemerkte. Vielleicht war er schon ein paar Minuten da, ich weiß es nicht. Ein robuster, stämmiger Kerl mit schmaler Stirn, die von Haaren überwuchert war, und einem Rüssel wie ein Wildschwein . Mit verstörtem Lächeln stand er vor mir. Das Lächeln eines Kindes, das etwas Falsches getan hat, ohne die Folgen abzusehen. Ich fragte mich, was er von mir wollte, warum er mich auf diese Art und Weise ansah .
    »Ich war’s«, sagte er schüchtern .
    Ich begriff nicht. Er kam näher und wiederholte: »Ich war’s.« Er zeigte mir seine Hände, sein beflecktes Hemd … Es durchzuckte mich. Das war zu schön, um wahr zu sein! Er stellte sich, und aus irgendeinem Grund, der mir bis heute schleierhaft geblieben ist, wandte er sich an mich, damit ich ihn der Polizei übergab! Dann fügte er elend hinzu:
    »Ich war betrunken.«
    Ich packte ihn am Kragen, ich war mindestens anderthalb Köpfe größer als er; widerstandslos ließ er sich mitnehmen. Ich spürte die Blicke der Leute auf uns gerichtet. Jemand machte eine drohende Gebärde: »War er das? Hat er den Brand gelegt …?« Ich bekam Angst . Aber im selben Augenblick brach im Gebäude eine Decke ein und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Wir konnten weitergehen. Mein Gefangener war derart verängstigt, dass er auf Fußspitzen lief, die Beine bogenförmig gekrümmt. Er hatte sich in die Hose gepisst .
    Alles in allem war wenig über ihn zu erfahren, wohl einfach deswegen, weil es nicht viel zu erfahren gab. Ein Bauer eben, mit eigenem Hof, ledig, und pickelig obendrein. Seinen Prozess verfolgte er mit eingezogenem Kopf, so gefügig und benommen, wie er sich auch der Polizei überlassen hatte.

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