Der Vormacher
dem Fenster sitzt die Bedienung aus dem China-Imbiss, offenbar die Frau des Chinesen.
»Kim«, sagt der Chinese fröhlich, »ich hab einen Freund mitgebracht. Wir haben Hunger. Was gibt’s zu essen?«
Die Frau wirft mir einen eisigen Blick zu. Dann sagt sie ein paar schnelle, schrille Sätze, die ich nicht verstehe – es wird wohl chinesisch sein. Sie steht auf und weist erst auf den zugemüllten Tisch, dann auf die dreckige Hose ihres Mannes, dann auf mich und die Tür. Der Chinese unterbricht sie grob und schubst sie zurück auf ihren Stuhl. Sie keift weiter, er hebt drohend die Hand. Ich bewege mich langsam rückwärts aus dem Zimmer.
»Warte!«, ruft der Chinese. »Wir müssen erst essen.«
»Schon gut«, sage ich. »Ich will nicht stören.« Die Frau steht auf und sagt etwas, der Mann schaut erstaunt, dann lässt er sie vorbei. Ohne mich anzusehen, rauscht sie aus dem Zimmer. Einen Moment später ertönen Küchengeräusche – eine Schranktür, das Scheppern einer Pfanne, das Klirren von Geschirr.
»Na also«, sagt er. »Geht doch.«
Er lässt die Rollläden runter und schaltet das Licht an. Dann lässt er sich auf eines der Sofas fallen. Zögerlich setze ich mich auf das andere.
»Die blöde Fotze macht immer Geschrei, aber kochen kann sie«, sagt er. Er holt die zweite geschnorrte Zigarette hinter seinem Ohr hervor und steckt sie an.
»Du sprichst aber gut Deutsch«, sage ich.
»Ist ja auch meine Muttersprache«, sagt er.
»Oh.«
»Mein Vater war Deutscher, meine Mutter ist aus Vietnam. Ich bin in Dortmund aufgewachsen.«
»Ich dachte, du wärst Chinese.«
»Quatsch«, sagt er. »Zum Glück nicht.«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Im Büro habe ich immer damit angegeben, dass kein Chinese so echt chinesisch kocht wie mein Chinese.
»Ich heiße Henri«, sage ich.
»Fritz«, sagt der Chinese und reicht mir die Hand. Dann steht er plötzlich auf und stürmt in den Flur. Er reißt eine Tür auf, dann noch eine, dann knallt er sie wieder zu.
»Scheiße«, sagt er. »Kim ist abgehauen. Ich hab vergessen, die Tür abzuschließen. Das Mittagessen können wir vergessen. Aber ich weiß was.«
Er geht und kommt nach ein paar Minuten zurück.
»Ich hab was bestellt«, erklärt er. »Mein Gott, hab ich einen Hunger.«
Er stinkt immer noch, doch er macht schon einen viel nüchterneren Eindruck. Ich frage mich, was ich hier eigentlich mache, aber alles ist besser, als mit Jana und der Schwiegermutter im Krankenhaus oder alleine auf dem Kinderspielplatz zu sein. Aus unerklärlichem Grunde habe ich das Gefühl, dass ich Fritz vertrauen kann. Jedenfalls will ich mit jemandem reden, mit jemandem, der auf meiner Seite ist, der sich meine Geschichte anhören will. Und es ist ganz einfach. Ich erzähle von den letzten Wochen und Monaten, eigentlich von den letzten acht Jahren, der Zeit mit Jana, sogar von davor. Vom Büro, von Theodora, von Emil, vom Chef, von Linda. Vom Titronal, von Janas Krankheit, von unserer Hochzeit, von Janas Mutter. Von meinen Zweifeln. Von der Scheiße, in die ich mich geritten habe. Fritz unterbricht mich nicht. Zwischendurch kommt das Essen, zusammen mit einer Plastiktüte voll eiskaltem Dosenbier und Zigaretten. Ich esse Nudeln aus der Styroporverpackung, fische Fleisch aus einer Plastikschale, ich trinke Bier, und die ganze Zeit erzähle ich weiter, bis alles draußen ist.
Fritz sagt immer noch nichts. Stattdessen beugt er sich vor und pikst mich mit dem Finger hart in die Rippen.
»Scheiße!«, rufe ich. »Was soll das?«
Fritz hebt den Finger, mit dem er mich gepikst hat.
»Was ist gerade passiert?«, fragt er oberlehrerhaft.
»Du hast mich gestochen!«
»Nein. Das war nur ein Pikser, freundschaftlich gemeint, und wirklich wehgetan hat es auch nicht.«
Er pikst mich wieder, so schnell, dass ich nicht ausweichen kann.
»Was ist diesmal passiert?«
Ich beschließe, das Spiel mitzuspielen.
»Du hast mich freundschaftlich gepikst, es hat nicht wirklich wehgetan«, antworte ich. Vorsichtshalber rutsche ich außer Reichweite.
»Richtig«, nickt Fritz. »Jetzt gib mir dein Bier.«
Ich reiche ihm die Dose. Sie ist noch halb voll. Er nimmt die Dose und wirft seine Zigarette hinein, die mit einem kurzen Zischen erlischt. Dann reicht er mir die Dose zurück. Instinktiv greife ich zu, aber dann ziehe ich meine Hand zurück.
»Das Bier will ich nicht mehr«, sage ich.
»Warum nicht?«, fragt Fritz und grinst. »Bist du sauer? Gekränkt? Hast du deshalb rote Flecken
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