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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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berühmt werden. Ich habe gesprochen, hau.«
    Als Harka seinen Vater so sprechen hörte, versanken für ihn Manege, Zuschauer, Zirkus und Stadt, und er meinte den Sturm zu spüren, der über weites Grasland dahinfegte, den Galopp von Reiterscharen zu hören und den Kriegsruf roter Männer zu vernehmen. Er hatte gewußt, daß dieser Abend, den er jetzt erlebte, anders sein würde als jeder Abend zuvor, aber nun empfand er, wie das ganz andere zu wirken begann. Er war schon nicht mehr Harry, der Artist, der seine wahren Gefühle und Vorstellungen tief in sich verschloß. Er war wieder Harka, der Sohn des Häuptlings, der aus Lust und List hier für einige Stunden eine Rolle vor den weißen Männern spielte, eng verbunden mit den Männern und Frauen der Dakota, die das Schicksal gleich ihm in die Manege verschlagen hatte.
    Die Indianer horchten auf, denn beim Manegeneingang wurden Geräusche einer Reitergruppe laut, und gleich darauf stürmten die Cowboys herein, schwangen die Waffen und knallten mit Revolvern und Pistolen. Von der Menge der Zuschauer wurden sie mit lautem Geschrei begrüßt, als ob es wirklich einen Gefangenen zu befreien gäbe. Es entstand ein ungeheurer Tumult in der Manege, ganze Salven krachten, Pferde ließen sich fallen, Reiter wälzten sich im Sande. Auf den oberen Sitzreihen sprangen die Zuschauer auf, pfiffen, heulten, winkten, trampelten. Die Fesseln des Gefangenen wurden durchschnitten; er sprang auf ein lediges Pferd, dessen Reiter gestürzt und geflohen war, und verkündete laut:
    »Männer! Retter! Befreier! Nehmt die Lady mit. Bringt sie in Sicherheit! Dann gilt es Rache zu nehmen!«
    Die junge Dame sank einem Cowboy an die Brust und wurde in die Kutsche getragen. Einige der Reiter und einige der Indianer verschwanden bei dieser Gelegenheit unauffällig, wie verabredet, um das Gedränge in der Manege zu mindern. Ein Cowboy sprang auf den Kutschbock, wendete das Viergespann und brauste im Galopp aus der Manege davon. Die Musik spielte wieder einen Tusch.
    In der Manege befanden sich am Ende des Trubels nur noch Red Jim mit zwei Cowboys, Mattotaupa, Harka und Großer Wolf.
    Über diese Besetzung des letzten Aktes war sich Mattotaupa mit Red Jim einig geworden. Drei Männer ­ darunter ein Red Jim! ­ gegen zwei Männer mit einem Knaben, das schien für die Weißen Überlegenheit genug zu verbürgen, auch wenn das Spiel, das jetzt folgen sollte, in seinen Einzelheiten nicht abgekartet war, sondern sportlich mit offenbleibendem Ergebnis durchgeführt werden sollte. Red Jim und Mattotaupa ritten als Anführer der feindlichen Gruppen aufeinander zu.
    »Häuptling der Dakota!« sprach Jim pathetisch. »Ihr seid besiegt! Ergib dich!«
    »Ein Dakota ergibt sich nie«, antwortete der Indianer. »Wenn die weißen Männer Mut haben, so mögen sie kämpfen!«
    »Immer diese unmöglichen Redensarten, und auch noch auf englisch!« sagte der Vertreter von B & B. »Es ist zu überlegen, ob wir diesen Top überhaupt brauchen können. Besser wäre es, nur den anderen zu behalten, den Harry. Der ist noch jung und läßt sich eher erziehen.«
    »Hoffentlich«, murmelte Smith vor sich hin.
    Red Jim hatte das Rededuell in der Manege inzwischen fortgesetzt. »Häuptling, wir gewähren dir und deinen Männern freien Abzug in ferne Jagdgefilde, wenn du uns diesen Burschen, deinen Sohn, auslieferst. Er hat uns verraten.«
    »Niemals!«
    »So werden die Waffen sprechen!«
    »Hau!«
    Was sich dann abzuspielen begann, nahm ein Tempo und eine Leidenschaft an, wie sie noch keiner der Zuschauer im Zirkus erlebt hatte. Nach den letzten Worten waren alle sechs zu Pferde wie der Blitz in Bewegung und galoppierten kreuz und quer in der Manege umher, während Schüsse krachten, die von einigen Sachverständigen für scharfe Schüsse gehalten wurden. Die Männer hatten ihre Lassos wurfbereit zur Hand. Red Jim und seine beiden Gefährten gingen darauf aus, Harka zu fangen; die Indianer aber wollten Red Jim als den feindlichen Anführer ergreifen. Der Staub wirbelte auf; Indianer und Cowboys schrien kurz und gellend, wenn sie scharf aneinander vorbeiritten oder der Junge, auf der Flucht vor einer sich senkenden Lassoschlinge, vom Mustang sprang und die Pferde der Cowboys unterlief, während die drei Weißen vergeblich den ledigen Grauschimmel zu fangen trachteten. Die drei kleinen Indianerpferde waren auf dem engen Raum viel gewandter und weniger behindert als die größeren Tiere der Cowboys. Der ledige Grauschimmel begann den

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