Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
August 1502
Der schwarze Junge blutete aus Mund und Nase, während er über den Landungssteg auf den Kai stolperte. Sein rechtes Auge war fast vollständig zugeschwollen und seine Oberlippe so unförmig dick, dass schwer zu sagen war, ob es von den Schlägen kam, die er offensichtlich hatte einstecken müssen, oder ob es ein Merkmal der fremden Rasse war, der er angehörte.
Laura starrte ihn bestürzt an, als er näher kam. Trotz des teils eingetrockneten, teils noch fließenden Blutes war zu erkennen, dass sein Gesicht tränenüberströmt war. Sie hatte gewusst, dass hier an der Riva degli Schiavoni Sklaven verkauft wurden, doch nichts hatte sie auf diesen Anblick vorbereitet.
Sie tastete nach der Hand ihres Vaters, und er ergriff sie, als hätte er nur darauf gewartet.
»Wir müssen nicht hier stehen bleiben«, sagte er. »Das ist ganz und gar nichts für ein Mädchen von neun Jahren.«
»Doch. Ich will es sehen.« Ihre Antwort kam spontan, und dabei wusste sie nicht einmal, ob es stimmte. »Außerdem werde ich bald zehn.« In Wahrheit wollte sie weit weg sein und mit diesen Grausamkeiten nichts zu tun haben. Gleichzeitig war sie jedoch auf eine merkwürdige Art außerstande, ihren Blick von dem Jungen abzuwenden.
Es war beinahe so, als hätte sie nur allein dadurch, dass sie ihn anschaute, ein seltsames unsichtbares Band zwischen sich und dem fremdartigen Jungen geknüpft, das sie nun dazu zwang, an Ort und Stelle zu verharren und abzuwarten, wie es mit ihm weiterging.
Er mochte vielleicht elf oder zwölf Jahre alt sein, also nur wenig älter als sie selbst, und er war tatsächlich schwarz wie poliertes Ebenholz, nicht nur im Gesicht, sondern am ganzen Körper. Bis auf einen zerfledderten Lendenschurz war er nackt, und so war gut zu sehen, wie gleichmäßig dunkel seine Haut auch an jenen Stellen war, die bei den Menschen in Venedig normalerweise unter der Kleidung verborgen waren. Auch sein kurz geschorenes Haar war pechschwarz und seltsam strukturiert, weder glatt noch lockig, sondern eher wie wolliger Filz. In seinen runden Augen stach das Weiße hervor, und Furcht verwandelte sein Gesicht in eine starre Grimasse.
Hinter dem Jungen kam einer der Aufseher an Land, ein in schmierige Baumwolle gehüllter Händler, der mit gezielten Stockhieben die menschliche Ladung von dem hinter ihm vertäuten Traghetto an Land trieb.
Das Frachtboot war vom Zollhafen herübergekommen, wo die Galeere ankerte, mit der die Sklaven von Afrika in die venezianische Lagune gebracht worden waren. Die Aufseher waren ebenfalls Afrikaner, Sklavenjäger aus Alexandria, wie Laura von ihrem Vater erfahren hatte. Der Handelsstützpunkt Alexandria lag an der östlichen Nordküste Afrikas, während die schwarzen Sklaven im Inneren des großen, von der Sonne verbrannten Landes gefangen wurden.
Der Händler selbst war Portugiese, das hatte sie den Unterhaltungen der Gaffer entnehmen können. Auf den ersten Blick sah man ihm nicht an, dass er mit Sklaven handelte. Er trug schlichtes schwarzes Tuch wie ein unauffälliger Kaufmann, ohne Verzierungen an Brust oder Schultern, und dazu eine schmucklose flache Kappe. Seine gelbliche Gesichtsfarbe deutete darauf hin, dass es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten bestellt war.
Die anderen Sklaven waren bereits auf dem Kai versammelt, der Junge war der Letzte. Seine magere Brust bewegte sich unter heftigen Atemzügen, doch wenn man genauer hinschaute, war zu sehen, dass er von Schluchzern geschüttelt wurde. Man hatte ihm die Füße mit Stricken zusammengebunden, nicht zu eng, gerade nur so fest, dass er nicht davonlaufen konnte. Es sah ein wenig lächerlich aus, weil er sich mit merkwürdig hopsenden Trippelschritten bewegen musste, immer nur um Haaresbreite davon entfernt, lang hinzuschlagen. Von der Fesselung behindert, kam er dem Aufseher offenbar nicht schnell genug voran.
Der Mann gab einen gutturalen Befehl von sich und holte dann mit dem Stock aus. Er versetzte dem Jungen einen Hieb quer über den Rücken, und das Schluchzen ging in einen erstickten Aufschrei über. In seinem Bemühen, weiteren Schlägen seines Peinigers zu entkommen, hoppelte der Junge mit seinen aneinandergefesselten Beinen schneller vorwärts, ein knochiges, missgestaltet wirkendes Wesen aus einer fremden Welt.
Einige der Umstehenden lachten, was Lauras Abscheu vor dem rohen Schauspiel noch verstärkte. Dabei war es nicht nur der Widerwille gegen den Anblick, der ihr zusetzte. Sie spürte, wie sich Wut in
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