Der wunderbare Massenselbstmord
es einige Kilometer, und der Absender der alkoholischen Fla schenpost konnte nicht sicher sein, an welcher Stelle seine Sendung angeschwemmt würde.
»Fast alle Sommerhausbesitzer machen es hier drau ßen so. Es ist üblich, ein Drittel des Inhalts in der Fla sche zurückzulassen und sie dann weiterzuschicken«, erklärte Rellonen. Der Oberst konnte das Ganze immer noch nicht begreifen. Alkohol war in Finnland teuer, wie konnte man ihn da in den See werfen?
Rellonen sagte, es sei eine altbewährte Form des Kon takts zwischen den Anwohnern. Irgendjemand habe vor langer Zeit mehr oder weniger aus Versehen damit angefangen. Sieben Jahre zuvor, an einem Morgen im August, sei erstmals bei ihm, Onni, eine Flasche mit Hochprozentigem angelandet, Chantré-Kognak, ausge zeichnete Qualität. Er habe einen mächtigen Kater gehabt, und so sei die Flasche gerade richtig gekommen und habe die Situation gerettet. Sowie die Alkoholhand lung aufgemacht habe, habe er seine Schuld an den See zurückgezahlt. Danach seien ab und zu, in den letzten Jahren immer öfter, weitere Flaschen am Ufer ange kommen. Die Gepflogenheit habe sich allmählich rund um den ganzen See verbreitet. Es werde nicht groß darüber geredet, es sei ein wortloses Geheimnis der Anwohner vom Humalajärvi.
»Vorigen Sommer habe ich drei Flaschen Sherry und später, kurz bevor der See zufror, noch eine mit Wodka und eine mit Koskenkorva bekommen. Die waren so voll, dass sie sich gerade noch an der Oberfläche hielten. So etwas erwärmt einem das Herz. Man sagt sich, dass irgendwo am anderen Ufer eine verwandte Seele wohnt, ein spendabler Freund guten Kognaks oder auch ein ehrlicher Wodkasäufer, der an seinen unbekannten Nachbarn jenseits des Wassers denkt.«
Eines Abends, als sie in der Sauna auf der Schwitz bank saßen, betrachtete Oberst Kemppainen den ver narbten nackten Körper seines Freundes. Er sagte, dass er sich schon lange über die Narben wundere. War Onni im Krieg verwundet worden, oder woher stammten die zahlreichen Spuren von Gewalteinwirkung?
Rellonen sagte, dass er zu jung sei, um im Krieg ge wesen zu sein. Bei Ausbruch des Krieges sei er erst ein Jahr alt gewesen. Aber in Finnland sei das Leben auch zu Friedenszeiten ein rechter Krieg. Nein, er habe vier Konkurse hinter sich, daher stammten die Narben.
»Dir kann ich ja sagen, dass ich nach jedem Bankrott so fix und fertig war, dass ich beschlossen habe, Selbstmord zu begehen. Dieser Versuch am Johannistag war nicht der erste. Und es wird wohl auch nicht der letzte bleiben, wer weiß.«
Rellonen erzählte, dass er vorher schon drei Versuche unternommen hatte. In den Sechzigerjahren, zu Zeiten des ersten Konkurses, hatte er beschlossen, sich in die Luft zu sprengen. Er hatte damals eine Tiefbaufirma gehabt. Seine letzte Baustelle war in Lohja gewesen. An Sprengmaterial hatte es ihm nicht gefehlt, wohl aber an Fachwissen. Er hatte sich mit einer schweren Sprengla dung, an die er zwei Zündkapseln und zwei Zündschnü re angeschlossen hatte, in seine Baubude zurückgezo gen. Die Sprengladung hatte er sich in die Hose ge steckt.
Der Selbstmörder hatte sich auf seinen Bürostuhl gesetzt und beide Schnüre gezündet. Gleichzeitig hatte er sich auch seine letzte Zigarette angesteckt.
Die Sprengung war nur teilweise geglückt. Die brennenden Zündschnüre hatten ihm große Löcher in die Unterhose und scheußliche Brandwunden in die Beine gesengt. Er hatte das Glühen der Zündschnüre auf der Haut nicht ertragen können und war brüllend nach draußen gestürzt. Die Trotylladung war ihm über die Beine geflossen, sie war aus der Kapsel ausgetreten. Die Kapsel war explodiert und hatte ihm den Hintern und die Hüften arg lädiert. Er war am Leben geblieben, hatte aber erhebliche Verletzungen davongetragen. Die zweite Kapsel war in der Ladung explodiert, die in der Baubude verblieben war, mit der Folge, dass das ganze Gebäude zerborsten war und sich in einem Umkreis von siebzig Metern über das Gelände verteilt hatte.
Nach dem nächsten Konkurs im Jahre 1974 hatte Rellonen versucht, sich in Sonkajärvi auf dem Anwesen seines Schwiegervaters mit einer Flinte zu erschießen, die er an einem Baumstamm in Anschlag gebracht hatte. Ihm hatte eine Falle vorgeschwebt, in der die Beute, er also, von einer Schusswaffe getötet wird. Er war bei der Aktion schwer betrunken gewesen, und der Schuss hatte ihn nur gestreift.
Rellonen kehrte dem Oberst seinen narbigen Rücken zu. Dort
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