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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ihm wie der Teufel selbst tief in den Grund, zerplatzt dort unten mit gräßlicher Übergewalt und reißt einen haushohen Springbrunnen von Erdreich, Feuer, Eisen, Blei und zerstückeltem Menschentum in die Lüfte empor. Denn dort lagen zwei, – es waren Freunde, sie hatten sich zusammengelegt in der Not: nun sind sie vermengt und verschwunden.
    O Scham unserer Schattensicherheit! Hinweg! Wir erzählen das nicht! Ist unser Bekannter getroffen? Er meinte einen Augenblick, es zu sein. Ein großer Erdklumpen fuhr ihm gegen das Schienbein, das tat wohl weh, ist aber lächerlich. Er macht sich auf, er taumelt hinkend weiter mit erdschweren Füßen, bewußtlos singend:
    »Und sei–ne Zweige rau–uschten,
    Als rie–fen sie mir zu –«.
    Und so, im Getümmel, in dem Regen, der Dämmerung, kommt er uns aus den Augen.
    {1085} Lebewohl, Hans Castorp, des Lebens treuherziges Sorgenkind! Deine Geschichte ist aus. Zu Ende haben wir sie erzählt; sie war weder kurzweilig noch langweilig, es war eine hermetische Geschichte. Wir haben sie erzählt um ihretwillen, nicht deinethalben, denn du warst simpel. Aber zuletzt war es deine Geschichte; da sie dir zustieß, mußtest du’s irgend wohl hinter den Ohren haben, und wir verleugnen nicht die pädagogische Neigung, die wir in ihrem Verlaufe für dich gefaßt, und die uns bestimmen könnte, zart mit der Fingerspitze den Augenwinkel zu tupfen bei dem Gedanken, daß wir dich weder sehen noch hören werden in Zukunft.
    Fahr wohl – du lebest nun oder bleibest! Deine Aussichten sind schlecht; das arge Tanzvergnügen, worein du gerissen bist, dauert noch manches Sündenjährchen, und wir möchten nicht hoch wetten, daß du davonkommst. Ehrlich gestanden, lassen wir ziemlich unbekümmert die Frage offen. Abenteuer im Fleische und Geist, die deine Einfachheit steigerten, ließen dich im Geist überleben, was du im Fleische wohl kaum überleben sollst. Augenblicke kamen, wo dir aus Tod und Körperunzucht ahnungsvoll und regierungsweise ein Traum von Liebe erwuchs. Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?
     
    FINIS OPERIS.

Anhang
    {1086} Übersetzungen fremdsprachiger Passagen
    Ausschnitt aus dem 5. Kapitel (
Walpurgisnacht
), S. 508–520 (Übersetzung des Herausgebers)
     
    Das weitgehend französisch geführte Gespräch wird hier im Zusammenhang übersetzt. Die im Original französischen Partien sind kursiv gesetzt; wo die von der Leitmotivik her zu erwartenden Formulierungen zu weit von der wörtlichen Übersetzung abweichen, wird letztere in eckigen Klammern nachgestellt:
     
    »
Das ist ein sehr strenger junger Mann, sehr anständig, sehr deutsch.
«
    »
Streng? Anständig?
« wiederholte er. »Ich verstehe Französisch besser, als ich es spreche. Du willst sagen, daß er pedantisch ist. Hältst du uns Deutsche für pedantisch –
uns Deutsche insgesamt

    »
Wir reden von Ihrem Vetter. Aber es stimmt
, ihr seid ein wenig
bürgerlich
.
Ihr liebt die Ordnung mehr als die Freiheit, das weiß ganz Europa.
«
    »
Lieben … lieben … Was ist das! Es ermangelt der Definition, dieses Wort.
Der Eine hat’s, der Andere liebt’s,
wie wir redensartlich sagen
«, behauptete Hans Castorp. »Ich habe in letzter Zeit,« fuhr er fort, »manchmal über die Freiheit nachgedacht. Das heißt, ich hörte das Wort so oft, und so dachte ich darüber nach.
Ich werde dir auf Französisch sagen,
was ich mir dachte.
Was ganz Europa die Freiheit nennt, ist vielleicht eine recht pedantische und bürgerliche Angelegenheit im Vergleich zu unserem Bedürfnis nach Ordnung – so ist das.
«
    »
Tatsächlich! Das ist amüsant. Denkst du an deinen Vetter, wenn du derart seltsame Dinge sagst?
«
    »Nein,
er ist wirklich ein guter Kerl
, eine einfache, unbedrohte Natur,
weißt du. Aber er ist nicht bourgeois, er ist soldatisch

    {1087} »Unbedroht?« wiederholte sie mühsam … »
Du willst sagen: eine ganz gefestigte, ihrer selbst sichere Natur? Aber er ist ernsthaft krank, dein armer Vetter.
«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Man weiß hier voneinander.«
    »Hat Hofrat Behrens dir das gesagt?«
    »
Vielleicht als er mir seine Gemälde zeigte.
«
    »
Das heißt: als er dein Porträt malte!
«
    »
Warum nicht. Fandest du mein Porträt gelungen?
«
    »
Aber ja, über die Maßen. Behrens hat deine Haut sehr genau wiedergegeben, oh, wirklich sehr getreu. Ich wäre liebend gerne Porträtmaler, um

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