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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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ausbeuterische Herrschaftsordnung.
    »Aber vielleicht sind Sie nicht für die Ehe geschaffen, Sir.«
    Also Moment mal. Wer bezichtigt hier wen, schwul zu sein? Friseure waren ihm schon immer zuwider gewesen, und der da war keine Ausnahme. Ein beschissener Provinzheini mit 2 Komma 4 Kindern, der seine Hypotheken abzahlt, sein Auto wäscht und wieder in die Garage fährt. Hübscher kleiner Schrebergarten unten an den Bahngleisen, Ehefrau mit Mopsgesicht, die ihre Wäsche an so einem eisernen Karusselldings aufhängt, yeah, yeah, ich seh’s direkt vor mir. Vielleicht spielt er samstagnachmittags in irgendeiner Gurkentruppen-Liga den Schiedsrichter. Nein, nicht mal den Schiedsrichter, höchstens den Linienrichter .
    Gregory merkte, dass der andere schwieg, als erwartete er eine Antwort. Der erwartet eine Antwort? Woher nimmt er sich eigentlich das Recht? Okay, dem werd ich’s zeigen.
    »Die Ehe ist das einzige Abenteuer, das auch dem Feigling offen steht.«
    »Tja, also, Sie sind bestimmt sehr viel klüger als ich, Sir«, antwortete der Friseur in einem Ton, der nicht unbedingt Hochachtung verriet. »Wo Sie doch an der Universität sind.«
    Gregory grunzte nur wieder.
    »Ich kann das natürlich nicht beurteilen, aber mir kommt es immer so vor, als ob man den Studenten an den Universitäten mehr Verachtung beibringt, als ihnen zusteht. Wird schließlich alles von unserem Geld bezahlt. Ich bin froh, dass mein Junge aufs Technikum gegangen ist. Hat ihm nichts geschadet. Verdient jetzt gutes Geld.«
    Yeah, yeah, genug, um die nächsten 2 Komma 4 Kinder zu ernähren und sich eine etwas größere Waschmaschine und eine etwas weniger mopsgesichtige Frau zu leisten. Tja, wer’s mag. Scheiß-England. Na, bald würde das alles hinweggefegt sein. Und diese Läden wären als Erstes weg, verknöcherte alte Institutionen auf der Basis von Herrschaftsverhältnissen, nichts als gespreizte Konversation, Klassenbewusstsein und Trinkgelder. Gregory hielt nichts von Trinkgeldern. Er betrachtete sie als Zementierung gesellschaftlich bedingter Unterwürfigkeit, gleichermaßen erniedrigend für Geber und Nehmer. Eine Korrumpierung sozialer Beziehungen. Und er konnte es sich auch gar nicht leisten. Außerdem war er doch nicht bescheuert und gab einem Heckentrimmer, der ihn beschuldigte, ein warmer Bruder zu sein, auch noch ein Trinkgeld.
    Diese Burschen würden sich sowieso nicht mehr lan ge halten. In London gab es Läden, die von Architekten gestaltet waren und wo auf topmodernen Anlagen die neuesten Hits gespielt wurden, während dir lässige Typen einen Stufenschnitt verpassten, sodass die Frisur der Per sönlichkeit entsprach. Kostete offenbar ein Vermögen, war aber besser als das . Kein Wunder, dass der Laden leer war. Oben auf einem Regal stand ein kaputtes Bakelit-Radio und spielte Tanzteeschmus. Die sollten hier Bruchbänder und Stützkorsetts und Kompressionsstrümpfe verkaufen. Den Markt für Prothesen komplett übernehmen. Holzbei ne, Stahlhaken für abgerissene Hände. Und Perücken, na türlich. Warum verkauften Friseure nicht auch Perücken? Zahnärzte verkauften doch auch falsche Zähne.
    Wie alt mochte der Mann sein? Gregory sah ihn sich an: knochig, gehetzter Blick, Haare absurd kurz geschnitten und mit Brylcreme angeklatscht. Hundertvierzig? Gregory rechnete nach. Siebenundzwanzig Jahre verheiratet. Also: Fünfzig? Fünfundvierzig, wenn er ihr gleich ein Kind gemacht hatte, als er sich zum ersten Mal die Hose aufknöpfte. Wenn er je so kühn gewesen war. Haare schon grau. Wahrscheinlich waren seine Schamhaare auch grau. Ob Schamhaare grau wurden?
    Der Friseur beendete die Heckentrimmphase, steckte die Schere beleidigend in ein Glas mit Desinfektionsmittel und zog eine andere, stummelartige hervor. Schnipp, schnipp. Haare, Haut, Fleisch, Blut, alles so verdammt nahe beieinander. In früheren Zeiten, als jeder ärztliche Eingriff noch eine Metzelei war, fungierten Barbiere auch als Bader und Wundärzte. Der rote Streifen an der traditionellen Barbierstange stand für den Stofffetzen, den der Barbier einem beim Aderlass um den Arm band. Sein Ladenschild zeigte auch ein Becken, das war die Schale, in der das Blut aufgefangen wurde. Das hatten sie nun alles aufgegeben und waren zu Friseuren herabgesunken. Zu Schrebergärtnern, die auf die Erde einstachen statt auf den ausgestreckten Unterarm.
    Er konnte immer noch nicht begreifen, warum Allie Schluss gemacht hatte. Angeblich war er zu besitzergrei fend, angeblich nahm er ihr

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