Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
übrigens ebenso: Meine Vorlesungen dauern zwei Stunden, ich unterbreche sie in der Mitte für zehn Minuten, gehe in den Garten oder auf die Straße, um eine Zigarette zu rauchen, und unterhalte mich dabei mit den Studenten, die dasselbe schlimme Laster haben (das ich wohlgemerkt nicht billige, aber so geht’s eben zu in der Welt).
Nun ist mein amerikanischer Freund von einigen nichtrauchenden Studenten beim Präsidenten seiner Universität angezeigt worden, und zwar mit folgender Begründung: Indem er sich draußen mit den rauchenden Studenten unterhalte, stelle er mit ihnen zum Schaden der nichtrauchenden ein privilegiertes Verhältnis her. Dieses privilegierte Verhältnis verletze die Regeln der Chancengleichheit, und daher sei sein Verhalten zu mißbilligen. Wie man sieht, geht es in diesem Fall nicht um Respektierung einer Minderheit, die zuvor unterdrückt worden war oder potentiell unterdrückbar wäre, sondern höchstens um die Selbstverteidigung einer Mehrheit vor der Gefahr, zu einer benachteiligten Minderheit zu werden.
Es ist leicht einzusehen, daß ein so besorgtes Eintreten für die Rechte jeder Gruppierung zu einer gefährlichen Intoleranz gegenüber allem und jedem führen kann. Man könnte beispielsweise zum Gesetz erheben, daß ich nicht die Person heiraten darf, die ich liebe, sondern nur die, die mir zugewiesen wird, damit die Rechte aller ethnischen Minderheiten respektiert werden (so daß ich dann keine Chinesin heiraten darf, wenn zehn Chinesinnen schon verheiratet sind, sondern eine Inderin oder eine Finnin nehmen muß, damit alle ethnischen Minderheiten gleiche Chancen haben).
Einer der größten Verfechter eines radikalen Liberalismus (der für die Rechte eines jeden eintritt, zum Beispiel auch derer, die sich zum Freitod entschließen) ist Ronald Dworkin, der letzte Woche die Würde eines juristischen Ehrendoktors der Universität Bologna erhalten hat. In seiner Dankesrede sprach er genau über das Problem der akademischen Freiheit.
Die Erfindung der Universität (die übrigens im Mittelalter und genau in Bologna stattfand) sei ein großes Ereignis gewesen, sagte er, weil sie die Existenz einer Lehrinstitu-tion etabliert habe, die nicht nur institutionell unabhängig von der politischen und religiösen Macht sein sollte, sondern in der auch jeder Lehrende ideologisch unabhängig von der Institution selber sein müsse. Eine revolutionäre Idee, die den Fortschritt der abendländischen Wissenschaft allererst möglich gemacht hat.
Mit der Political Correctness wird nun jedoch diese Freiheit in Zweifel gezogen. Ein Professor für englische Literatur wird aufgefordert, keine Vorlesung über Shakespeares Othello zu halten, weil die Figur des eifersüchtigen Mohren, der schließlich zum Mörder wird, die afroamerikanischen Studenten beleidigen könnte; er darf auch nicht über den Kaufmann von Venedig sprechen, weil Shakespeare sich in dieser Tragödie nicht immun gegenüber einem populären Antisemitismus gezeigt hat (auch wenn Shylock eine großartige Figur ist). Aber er wird sogar entmutigt, eine Vorlesung über Aristoteles zu halten, wenn das zur Vernachlässigung der Philosophie und Mythologie eines afrikanischen Volksstammes führt (dessen Nachkommen die Universität besuchen).
Daß es richtig und nützlich ist, sowohl Aristoteles als auch die Mythen der Dogon zu behandeln, steht außer Frage. Leider bestraft aber heute die Political Correctness den, der Aristoteles lehrt, und belohnt den, der Vorlesungen über die Mythen der Dogon hält. Was eine Form von Fanatismus und Fundamentalismus darstellt, die nicht besser ist als jene, in der man einst lehrte, daß Aristoteles die menschliche Vernunft verkörpere und die Mythen der Do-gon nur Ausdruck einer primitiven Mentalität seien.
Es ist richtig, wenn eine Universität, wie übrigens auch ein Gymnasium, Platz für die Lehre aller möglichen Sichtweisen läßt. Deswegen bin ich seit langem dafür, daß in einer guten Schule gelehrt werden sollte, was in der Bibel steht, was in den Evangelien, was im Koran und was in den Schriften Buddhas. Aber jemandem zu verbieten, über die Bibel zu sprechen (die er gut kennt), nur weil er dann nicht über den Koran spricht, ist eine gefährliche Form von Intoleranz, maskiert als Respekt vor den Meinungen anderer.
1997
Revision im Namen des Common Sense: Der Prozeß Sofri
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muß neu aufgerollt werden
Zahlreich sind die Argumente, die von den HolocaustLeugnern benutzt werden, um jede einschlägige
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