Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
hätte über vieles geschwiegen, was andere zu Recht angeprangert haben. Ich bitte um Entschuldigung, da habe ich wohl im Moment nicht aufgepaßt.
Mailand, 5. Januar 2000
Die dunkle Seite der Galaxie
Zwischen Rassismus, Krieg und Political Correctness
Migrationen
Letzten Dienstag, als alle Zeitungen lange Artikel über die jüngsten Rassenunruhen in Florenz brachten, erschien in der Repubblica eine Karikatur: zwei Silhouetten, ein riesiges bedrohliches Afrika und ein winziges Italien; daneben ein Florenz, so klein, daß es nicht mal durch einen Punkt darstellbar war, und darunter die Zeile: »Wo sie mehr Polizei haben wollen.« Im Corriere della sera wurde die Geschichte der klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten von 4000 v. Chr. bis heute resümiert. Woraus hervorging, daß jeweils die Fruchtbarkeit oder die Versteppung eines Kontinents riesige Völkerwanderungen bewirkt, die das Gesicht des Planeten verändert und jene Kulturen geschaffen haben, die wir heute entweder durch direkte Erfahrung oder durch historische Rekonstruktionen kennen.
Heute, angesichts des Problems der sogenannten extra-comunitari (soll heißen der Zuwanderer aus Ländern außerhalb der EU - ein hübscher Euphemismus, der auch die schweizerischen und texanischen Touristen mit umfassen müßte), angesichts eines Problems, das alle europäischen Nationen betrifft, argumentieren wir immer noch so, als hätten wir es mit einem Fall von Einwanderung zu tun. Einwanderung liegt vor, wenn einige hunderttausend Bürger eines übervölkerten Landes sich aufmachen, in einem anderen Land zu leben (zum Beispiel die Italiener in Australien). Und es versteht sich von selbst, daß in solch einem Fall das Gastland den Zustrom entsprechend seiner Aufnahmekapazität regulieren muß, so wie es selbstverständlich auch das Recht hat, diejenigen Immigranten fest-zunehmen oder auszuweisen, die gegen Gesetze verstoßen
- und wie es umgekehrt auch die Pflicht hat, bei Gesetzesverstößen sowohl die eigenen Bürger wie auch die devisenbringenden reichen Touristen festzunehmen.
Aber heute haben wir es in Europa nicht mit einem Fall von Einwanderung zu tun. Wir haben es mit einer Völkerwanderung zu tun. Zwar hat sie nicht den gewaltsamen, alles niederreißenden Charakter des Einfalls der germanischen Völker nach Italien, Frankreich und Spanien am Ende des Römischen Reiches, nicht die Heftigkeit der arabischen Expansion zu Beginn des Islams, auch nicht die Langsamkeit jener unklaren Ströme, die nebulöse Völker aus Asien über inzwischen versunkene Landbrücken nach Ozeanien und vielleicht nach Amerika gebracht haben. Doch sie ist ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Planeten, der die Kulturen seit jeher im Gefolge großer Migrationsströme entstehen und vergehen sah, wobei diese Ströme zuerst von Westen nach Osten gingen (aber darüber wissen wir nur sehr wenig) und dann von Osten nach Westen, angefangen mit einer tausendjährigen Wanderung von den Quellen des Indus bis zu den Säulen des Herkules und von dort vier Jahrhunderte lang weiter bis nach Kalifornien und Feuerland.
Heute erfolgt die Wanderung - unmerklich, da sie in Form einer Flugreise und eines Aufenthalts im kommunalen Ausländeramt oder als nächtliche Bootslandung an der Küste daherkommt - aus einem zunehmend versteppenden und verhungernden Süden in den Norden. Sie erscheint als Einwanderung, ist aber eine Völkerwanderung, ein historisches Ereignis von unabschätzbarer Tragweite, sie erfolgt nicht durch hereinbrechende Horden, die kein Gras mehr wachsen lassen, wo ihre Pferde hintreten, sondern durch diskrete, unterwürfige Grüppchen, und trotzdem wird sie nicht Jahrhunderte oder Jahrtausende brauchen, sondern bloß ein paar Jahrzehnte. Und wie bei allen großen Wanderungen wird das Ergebnis eine neue ethnische Mischung in den Zielländern sein, ein unerbittlicher Wandel der Sitten und Bräuche, eine unaufhaltsame Verschmelzung, die in statistisch meßbarer Weise die Haut-, Haar- und Augenfarbe der Bevölkerung ändern wird, so wie einst in Sizilien eine nicht sehr große Zahl von Normannen einen blonden und blauäugigen Menschenschlag hinterlassen hat.
Große Völkerwanderungen werden, zumindest in historischer Zeit, seit jeher gefürchtet. Anfangs sucht man sie zu vermeiden, die römischen Kaiser lassen Zäune und Wälle errichten, schicken ihre Legionen vor, um die herannahenden Eindringlinge zu unterwerfen; dann schließt man Verträge und versucht, die ersten
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