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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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die seit drei Generationen Ärzte waren, hatte er einen abweichenden Weg eingeschlagen –, aber die Anziehungskraft eines anderen Lebens, das Zeichnen und vielleicht ein Leben im Ausland, um sich dem ganz zu widmen, war seit Freyas Tod zunehmend stärker geworden.
    Er war fünfunddreißig. Nicht mehr lange, und er würde zum Superintendent befördert werden. Was er auch wollte.
    Was er nicht wollte.
    Er kehrte zu den trauernden Engeln zurück. Doch der Pfad war nicht mehr leer. Ernesto kam auf ihn zu und hob den Arm, als er Simon sah.
    »Ciao – ist was passiert?«
    »Ich komme dich abholen. Da war ein Anruf.«
    »Aus dem Revier?«
    »Nein, von der Familie. Dein Vater. Er will, dass du ihn sofort zurückrufst.«
    Simon verstaute Block und Bleistifte wieder in der Segeltuchtasche und folgte Ernesto rasch zum Landungssteg.
    Ma, dachte er, ihr ist etwas passiert. Seine Mutter hatte vor zwei Monaten einen leichten Schlaganfall gehabt, die Folge von zu hohem Blutdruck und zu viel Stress, aber sie hatte sich gut erholt, und es waren anscheinend keine Nachwirkungen zurückgeblieben. Cat hatte ihm gesagt, es gebe keinen Grund, seine Reise abzublasen. »Ihr geht’s gut, es war kein schwerer Anfall, Si. Es gibt keinen Grund, warum sie noch einen haben sollte. Außerdem, wenn was wäre, könntest du schnell genug zurück sein.« Und genau das musste er tun, dachte er, als er neben Ernesto über das inzwischen sonnengesprenkelte Wasser zurückfuhr.
    Überraschend war nur, dass nicht Cat, sondern sein Vater angerufen hatte. Richard Serrailler missbilligte Simons Berufsentscheidung, sein künstlerisches Schaffen, sein Junggesellenleben – kurz, alles an ihm.
    »Klang er besorgt?«
    Ernesto zuckte die Schultern.
    »Hat er meine Mutter erwähnt?«
    »Nein. Nur, dass du anrufen sollst.«
    Das Motorboot schoss auf die Fondamenta zu, wendete geschickt und hielt an.
    Simon legte Ernesto die Hand auf den Arm. »Du bist ein guter Freund. Danke, dass du mich abgeholt hast.«
    Ernesto nickte nur.
     
    Simon rannte die Treppe vom leeren Lagerhaus in seine Räume hinauf und warf Tasche und Jacke auf den Boden. Die Telefonverbindung hatte sich seit Einführung des digitalen Telefonnetzes verbessert, und er hörte das Tuten in Hallam House.
    »Serrailler.«
    »Ich bin’s, Simon.«
    »Ja.«
    »Geht es Mutter gut?«
    »Ja. Ich habe wegen deiner Schwester angerufen.«
    »Cat? Was ist passiert?«
    »Martha. Sie hat eine Lungenentzündung. Man hat sie ins Kreiskrankenhaus von Bevham gebracht. Wenn du sie noch lebend sehen möchtest, solltest du nach Hause kommen.«
    »Selbstverständlich, ich …«
    Aber das Telefon war tot. Richard Serrailler verschwendete keine Worte, schon gar nicht an seinen Polizistensohn.
     
    Es gab einen Abendflug nach London, aber Simon musste erst eine halbe Stunde telefonieren und dann noch einen Bekannten bei der italienischen Polizei um Hilfe bitten, damit er einen Platz bekam. Der Rest des Tages verging mit Packen und dem Aufräumen der Wohnung. Ernesto brachte ihn zum Flughafen, daher kam Simon erst in dem vollbesetzten Flugzeug zum Nachdenken. Und er hatte vorher tatsächlich nicht nachgedacht. Der Anruf seines Vaters war ein Befehl gewesen, und Simon hatte ohne Fragen gehorcht. Sein Verhältnis zu Richard Serrailler war so schlecht, dass Simons Verhalten vergleichbar war mit dem gegenüber seinen Vorgesetzten bei der Polizei und genauso emotionslos.
    Er saß über der Tragfläche, hatte daher wenig Möglichkeit, beim Start auf die Lagune hinunterzuschauen, was ihm ganz recht war, da er Venedig, seinen Zufluchtsort, seine Arbeit und seine ruhigen, abgeschiedenen Räume diesmal noch weniger gern als sonst verlassen hatte. Durch die Stadt zu gehen, über die Brücken und die Plätze, unter den schmalen kleinen Durchgängen zwischen den hohen alten Häusern zu sitzen, zu schauen und zu zeichnen, sich mit Ernesto und seinen Freunden abends bei einem Glas Wein zu unterhalten – das war ein ganz anderer Simon Serrailler als der DCI in Lafferton, mit einem anderen Lebensstil, anderen Interessen und vollkommen veränderten Prioritäten. Während der Reise bewegte er sich von dem einen zum anderen, aber heute wurde er ohne den üblichen entspannten Übergang in sein Alltagsleben zurückgeschleudert.
    Die Anschnallzeichen waren erloschen, und der Getränkewagen wurde durch den Gang geschoben. Simon bat um einen Gin Tonic und eine Flasche Mineralwasser.
    Simon Serrailler war ein Drilling. Seine Schwester Cat, eine

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