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Des Lebens Überfluß

Des Lebens Überfluß

Titel: Des Lebens Überfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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die ganze Sache. Er war nicht so prosaisch, sich zu erkundigen, wo denn ein so ganz abstraktes Ding, wie der Raum, hingekommen sei. Was ist Raum? ein Unbedingtes, ein Nichts, eine Form der Anschauung. Was ist eine Treppe? ein Bedingtes, aber nichts weniger als ein selbständiges Wesen, eine Vermittlung, eine Veranlassung, von unten nach oben zu gelangen, und wie relativ sind selbst diese Begriffe von Oben und Unten. Der Alte wird es sich nimmermehr ausreden lassen, daß dort, wo jetzt nur eine Lücke ist, ehemals eine Treppe gestanden habe; er ist gewiß zu empirisch und rationalistisch, um einzusehen, daß der wahre Mensch und die tiefere Intuition der gewöhnlichen Übergänge jener armseligen, prosaischen Approximation einer so gemeinen Stufenleiter der Begriffe nicht bedarf. Wie soll ich ihm das Alles von meinem höhern Standpunkte auf seinem niedern da unten deutlich machen? Er will sich auf die alte Erfahrung des Geländers stützen und zugleich gemächlich eine Staffel nach der andern zur Höhe des Verständnisses abschreiten, und er wird unsrer unmittelbaren Anschauung niemals folgen können, die wir unter uns alle diese trivialen Erfahrungs- oder Ergehungssätze abgebrochen und dem reinsten Erkennen nach alter Parsenlehre durch die reinigende und erwärmende Flamme geopfert haben.
    Ja, ja, sagte Clara lächelnd, phantasiere und witzle nur; das ist der wahre Humor der Ängstlichkeit.
    Niemals, fuhr er fort, will das Ideal unsrer Anschauung mit der trüben Wirklichkeit ganz aufgehen. Die gemeine Ansicht, das Irdische will immerdar das Geistige unterjochen und beherrschen. –
    Still! sagte Clara, unten rührt es sich wieder.
    Heinrich stellte sich wieder an seine Tür und öffnete sie ein wenig. Ich muß doch einmal meine lieben Mietsleute besuchen, sagte man unten ganz deutlich; ich hoffe, die Frau ist noch ebenso hübsch, und die Beiden Leutchen sind noch so gesund und heiter wie sonst. Jetzt wird er, sagte Heinrich leise, an das Problem geraten.
    Eine Pause. Der Alte tappte unten in der Dämmerung umher. Was ist denn das? hörte man ihn sagen; wie bin ich denn in meinem eignen Hause so fremd geworden? Hier nicht – da nicht – was ist denn das? – Ulrich! Ulrich, hilf mir doch einmal zurecht.
    Der alte Diener, der in seiner kleinen Wirtschaft Alles in Allem war, kam aus der Kammer herbei. Hilf mir doch einmal die Treppe hinauf, sagte der Hauswirt, ich bin ja wie verhext und verbündet, ich kann die großen, breiten Stufen nicht finden. Was ist denn das?
    Nun, kommen Sie nur, Herr Emmerich, sagte der mürrische Hausknecht, Sie sind noch vom Fahren etwas duselig.
    Der da, bemerkte Heinrich oben, gerät auf eine Hypothese, die ihm nicht Stand halten wird.
    Schwerenot! schrie Ulrich, ich habe mir hier den Kopf zerstoßen; ich bin ja auch wie verdummt; es ist fast, als wenn uns das Haus nicht leiden wollte.
    Er will es sich, sagte Heinrich, durch das Wunderbare erklären; so tief liegt in uns der Hang zum Aberglauben.
    Ich fasse rechts, ich fasse links, sagte der Hausbesitzer, ich greife nach oben – ich glaube beinah, der Teufel hat die ganze Treppe geholt.
    Fast, sagte Heinrich, die Wiederholung aus dem Don Quixote; sein Untersuchungsgeist wird sich aber damit nicht zufrieden geben; es ist im Grunde auch falsche Hypothese, und der sogenannte Teufel wird oft nur eingeschoben, weil wir eine Sache nicht begreifen, oder, was wir begreifen, uns in Zorn versetzt.
    Man hörte unten nur murmeln, leise fluchen, und der verständige Ulrich war still fortgegangen, um ein brennendes Licht zu holen. Dieses hielt er jetzt mit starker Faust empor und leuchtete in den leeren Raum hinein. Emmerich blickte verwundernd hinauf, stand eine Weile mit aufgesperrtem Munde, starr vor Schrecken und Erstaunen, und schrie dann mit den lautesten Tönen, deren seine Lunge fähig war: Donnerwetter noch einmal! Das ist mir ja eine verfluchte Bescherung! Herr Brand! Herr Brand da oben!
    Jetzt half kein Verleugnen mehr, Heinrich ging hinaus, beugte sich über den Abgrund und sah beim ungewissen Schein des flackernden Lichtes die beiden dämonischen Gestalten in der Dämmerung des Hausflurs. Ach! wertgeschätzter Herr Emmerich, rief er freundlich hinab, sein Sie uns willkommen; es ist ein schönes Zeichen Ihres Wohlseins, daß Sie früher ankommen, als Sie es sich vorgesetzt hatten. Es freut mich, Sie so gesund zu sehen.
    Gehorsamer Diener! antwortete Jener, – aber davon ist hier die Rede nicht. Herr! wo ist meine Treppe geblieben!
    Ihre

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