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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Schmidt
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? : ei, ei, ei ! / Alfred Döblin ? Albert Einstein ? / Die ›Göttinger 7‹?
    Und wir wollen nicht vergessen, wie die Regierungen ihre Handlanger haben; wie sie die Dichter selbst gegeneinander zu hetzen verstehen : kennen Sie den Namen Richard Dehmel ? Ein großer Mann; ›Fitzebutze‹ und ›2 Menschen‹ – und gegen ihn der Denunziant der ›Pankower Haupt=Pornografen‹, Börries Freiherr von Münchhausen war sein Name : ekeln kann einem davor ! ! –
    Es gibt nur 1 Möglichkeit, und die Machthaber allerorten mögen sie sich hinter die feinen Ohren schreiben; (sonst bleibt es eben wie bisher : daß sich die Regierungen bis auf die Knochen blamieren vor der ›Nachwelt‹ !) – :
    Verleiht den wenigen guten Schriftstellern Eurer Nation (unbesorgt: keine Generation hat deren mehr als 1 Dutzend auf einmal !) Immunität ! Laßt sie, die Sprecher für ›Jedermann‹ reden und schreiben ohne die geringste Furcht: je besser sie sind, desto weniger Hörer =Leser haben sie !
    Im Augenblick ist es wieder so, daß sich die ›Vaterländer‹ aller Art blamieren, ›ihren‹ Dichtern gegenüber, immer und immer wieder; ob USA (Cooper & Ezra Pound) ob UDSSR (›Formalisten‹ und Pasternak); ob Frankreich (Bayle, Voltaire, Sade, Sartre) oder Ungarn : ob BRD oder DDR, ob Bonn oder Pankow.
    ›Den Einen genommen : und den Andern damit geprügelt !‹
    (Das ist ein schlesisches Sprüchwort; und ich bin Flüchtling, dazu mit Ausweis A; außerdem 6 Jahre Soldat & Kriegsgefangener : Lambe mihi !).
    [1958]

DIE WÜSTE DEUTSCHLAND
    Eine relative Öde unserer Literatur ist unleugbar (relativ insofern, als zuweilen ganze Meteorschwärme von Talenten auftreten, eins am andern sich entzündend, eins das andre beleuchtend, ›Romantik‹ oder ›Expressionismus‹).
    Wer allerdings kein Recht hat, sich über das seuchenhafte Verkalben unserer Autoren zu moquiren, sind die ›Fachleute‹. Einmal die Rezensenten; die begrüßen nämlich glühende junge Talente mit nichten begeistert, sondern reagieren wie die Feuerwehrmänner, als sei ihre Aufgabe, jeden Funken Genie sogleich zu löschen. Und die Literaturhistoriker hinken grausam hinterher : ein Professor, der so weit gelangt, den Expressionismus für sich zu ›entdecken‹, ist ein Fönix, und gilt bei Kollegen als ›unruhiger Kopf‹.
    Dennoch sind auch bei uns zur Zeit 5 gute Leute vorhanden. (Freilich, wenn man Verlagsprospekten und Klappentexten trauen dürfte, besäßen wir durchschnittlich 3 Genies pro Quadratmeter). Diese 5 stehen – und es ist an der Zeit, auch das einmal zu sagen – meist nicht in den Mitgliederlisten unserer Akademien oder des PEN; auch diese Institutionen versagen bei uns. Dreiviertel ihrer Angehörigen sind nur mit bewaffnetem Auge zu erblickende Talente; und die Anerkennung wirklich guter Leute erfolgt dort derart zögernd und beleidigend spät, daß Mancher den Beitritt nur noch achselzuckend ablehnt.
    Die Situation ist, nebenbei bemerkt, in ganz Europa die gleiche. Weltanschauliche Empfindlichkeit gilt als das ›Gebot der Stunde‹ in den Feuilletons meint man nicht Literatur‹ sondern Kirchengeschichte zu lesen (bzw. Wahlaufrufe); und eine Binsenwahrheit, wie etwa, daß es bei einem guten Dichter völlig gleich sei, ob er Karl Marx oder die Jungfrau Maria besingt, würde am liebsten gerichtlich verfolgt.
    Man betrachte England : da erhält ein Churchill den Nobelpreis für Literatur ! Also ein Journalist von ausgesprochenem Mittelmaß, der dichterisch überhaupt nicht ernst zu nehmen ist. Aber James Joyce hat die rettenden 150.000 Mark nicht gekriegt. (Oder, um deutsche Namen zu nennen, nicht Rilke, Däubler, Döblin, Brecht – wie man sich denn oft in eine geistige Ruhmeshalle versetzt glaubt, wenn man die Dichter sich vorstellt, die den Nobelpreis nicht erhielten.)
    * *
    *
    Der Grund für solche Flaute des Geistes – wo die Bücher jener 5 praktisch nur Flaschenposten einer Skylla an die andere bedeuten – ist unschwer anzugeben.
    Es ist die, östlich wie westlich des Eisernen, rüstig geübte Tyrannei der Regierungen : wer ›vorwärtskommen‹ will, muß drüben SED= Mitglied sein, bei uns Gottsucher. Von einem ›Deutschen Wunder‹ kann nur der unbedarfte Ausländer faseln; der, der keine Ahnung davon hat, wie ein Oppositionsblatt nach dem andern heiß abgewürgt oder kalt aufgekauft wird; wie man längst wieder auf gut Germanisch Judenfriedhöfe schändet; und Parteien behindert, wenn nicht gar verbietet
    – bei allem, was

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