Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
Abstandsmessung widerlegen: Doppelstriemen, die von einer Ohrfeige herrühren, weisen einen weit geringeren Abstand auf als die Gitterstäbe an Babybetten. Außerdem gilt hier das Gleiche wie für das angebliche Schlafen auf einem Spielzeug: Wir wachen auch nicht morgens auf und haben Hämatome mit dem Muster unserer Bettwäsche im Gesicht.
Mehrzeitigkeit der Verletzungen:
Wenn ein Kind unterschiedlich alte beziehungsweise immer wieder neue Verletzungen aufweist, ist dies ein deutlicher Hinweis auf mögliche Kindesmisshandlung.
Wie unser früherer Chef, Prof. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und einer der begnadetsten Rechtsmediziner überhaupt, so treffend zu sagen pflegte: »Kindesmisshandlung ist eine chronische Erkrankung.« Sie ähnelt einer langwierigen Krankheit, die immer wieder neue Symptome hervorruft – so lange, bis das betroffene Kind alt genug ist, um sich seinem Peiniger zu entziehen. Oder bis es an den Folgen seiner »chronischen Krankheit« verstirbt.
Differenzialdiagnosen:
Wenn Kinder misshandlungstypische Verletzungsmuster aufweisen, die
nicht
auf Misshandlung zurückgehen, dann bedeutet das fast immer, dass sie an schwerwiegenden Krankheiten leiden, etwa an Gerinnungsstörungen oder Leberentzündungen.
In Kapitel 6 haben wir einige Fälle geschildert: Ein Säugling, der vermeintlich an den Folgen eines Schütteltraumas verstorben war, hatte tatsächlich an einer unerkannten
Riesenzellhepatitis
gelitten, die genau die gleichen Symptome wie ein Schütteltrauma hervorrufen kann
(Guddat u.a.).
Ebenso können Knochenbrüche, die scheinbar auf brutale Kindesmisshandlung zurückgehen, in seltenen Fällen die Folge einer
Osteogenesis imperfecta
sein, der sogenannten Glasknochenkrankheit. In allen diesen Fällen ist es extrem wichtig, dass die Kinder medizinisch untersucht werden, damit rechtzeitig eine Therapie ihrer schwerwiegenden Erkrankung eingeleitet werden kann.
Folglich handeln Sie aus doppeltem Grund richtig, wenn Sie Eltern auf die Verletzungen ihrer (vermeintlich) misshandelten Kinder ansprechen. Dadurch helfen Sie den Kindern in jedem Fall.
Wohin kann man sich wenden?
Nicht immer und für jeden ist es der richtige Weg, Eltern direkt auf Verletzungen ihrer Kinder anzusprechen. Wer beispielsweise nicht riskieren möchte, es sich mit seinen Nachbarn durch eine möglicherweise falsche Verdächtigung zu verderben, sollte sich stattdessen an das zuständige Jugendamt wenden – oder auch direkt an die Polizei.
Da es sich bei Kindesmisshandlung um sogenannte Offizialdelikte handelt, müssen die Ermittlungsbehörden tätig werden, wenn sie von dem Verdacht der Kindesmisshandlung erfahren. Ferner muss das Jugendamt reagieren, wenn ihm eine akute Kindeswohlgefährdung gemeldet wird. Es ist also keineswegs erforderlich, dass Sie namentlich Anzeige erstatten – ein anonymer Anruf bei der Polizei genügt.
Bei einer Meldung an das Jugendamt sollten Sie deutlich darauf hinweisen, dass Sie das Wohl des betroffenen Kindes akut gefährdet sehen, und diese Einschätzung auch entsprechend begründen können – etwa mit kindlichen Schmerzensschreien oder Hilferufen, die Sie (möglicherweise wiederholt) aus der Nachbarwohnung gehört haben. Bei einer solchen Kinderschutzmeldung muss das Jugendamt aktiv werden: Zwei Mitarbeiter aus dem zuständigen Akutteam müssen sich persönlich von den Gegebenheiten vor Ort überzeugen. Und Sie selbst haben sich dann nicht etwa als »Denunziant« erwiesen, sondern sich vorbildlich für das Wohl eines Kindes in Not eingesetzt.
Wenn Sie es vorziehen, unmittelbar die Polizei zu alarmieren – weil Sie beispielsweise Schreie oder Hilferufe hören und eine akute Gefahr für Leib und Leben des betroffenen Kindes befürchten –, dann wählen Sie den Notruf 110 . Auch hierbei können Sie, falls gewünscht, anonym bleiben.
Wenn Sie fachkundigen kriminalpolizeilichen Rat suchen und in Berlin leben, können Sie sich hier direkt an das LKA 125 wenden. Die Spezialisten für Kindesmisshandlungsdelikte helfen Ihnen abzuklären, ob von Ihnen beobachtete verdächtige Hinweise tatsächlich auf Kindesmisshandlung deuten könnten, und sie geben Ihnen praxisnahe Tipps für das weitere Vorgehen.
Wenn Sie sich finanziell engagieren möchten: Der Kinderschutzbund und zahlreiche andere Kinderschutzorganisationen freuen sich über Ihre Spende, ebenso Kinderschutzambulanzen oder auch die Träger von
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