Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
Helfern vor Ort und den Sachbearbeitern in den Jugendämtern fehlt es meist an elementaren rechtsmedizinischen Kenntnissen. Auch Staatsanwälte und Richter sind in dieser Hinsicht überwiegend von erschütternder Ahnungslosigkeit. Und ein Landeskriminalamt wie das Berliner LKA 125 , das auf Gewaltdelikte an Schutzbefohlenen und Kindern spezialisiert ist, sucht in ganz Deutschland seinesgleichen.
Die desaströse Realität sieht meist so aus: Oft können und wollen Klinikärzte und niedergelassene Kinderärzte selbst offensichtliche Hinweise auf Kindesmisshandlung nicht erkennen. Lässt sich der Verdacht in einem konkreten Fall partout nicht verleugnen, schalten sie das Jugendamt ein. Der zuständige Sachbearbeiter kennt sich mit misshandlungstypischen Symptomen jedoch auch nicht aus, und für ein rechtsmedizinisches Gutachten hat er kein Budget.
Wenn er sich überhaupt entschließt, die Polizei einzuschalten, werden mit den Ermittlungen Beamte beauftragt, die von der Thematik gleichfalls keine oder wenig Ahnung haben. Folglich wissen sie auch nicht, wie sie Tatverdächtige befragen müssen, um beispielsweise den Verdacht auf ein Schütteltrauma zu erhärten. Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft sieht es ähnlich düster aus. Falls sie sich zur Anklageerhebung entschließt, bekommen Staatsanwalt und Verteidiger es in aller Regel mit Richtern und Schöffen zu tun, die gleichfalls von rechtsmedizinischen Kenntnissen weitestgehend frei sind.
Absurderweise gilt das sogar für die Mehrzahl der Kinderärzte, die vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst ( KJGD ) in Schulen und Kindergärten geschickt werden. Dabei handelt es sich beim KJGD um ein Instrument, das die Kommunen bundesweit einsetzen, um zum Wohl der Minderjährigen Kontrolluntersuchungen durchzuführen. Die Kinderärzte des KJGD werden daher auch von Familiengerichten regelmäßig beauftragt, Kinder und Jugendliche bei Verdacht auf Kindesmisshandlung zu untersuchen. Doch das bedeutet keineswegs, dass diese Ärzte über eine elementare rechtsmedizinische Ausbildung oder über die nötige technische Ausrüstung verfügen würden. In der Regel kennen sie nicht die typischen Verletzungsmuster, die bei den unterschiedlichen Misshandlungsformen auftreten, noch haben sie etwa Kameras oder Laptops zur Hand, um ihre Untersuchungsergebnisse zu dokumentieren.
Bis heute spielen rechtsmedizinische Aspekte in der Facharztausbildung der künftigen Kinderärzte nur eine sehr bescheidene Nebenrolle. Auch im Medizinstudium werden die Studenten mit diesem wichtigen Thema erst gegen Ende ihres Studiums im Rahmen des Fachs Rechtsmedizin konfrontiert. Erforderlich wäre jedoch ein eigenes mehrwöchiges Seminar, um den Studenten zumindest einen ersten Kontakt mit der Rechtsmedizin zu ermöglichen.
Seit 2008 halten wir in Berlin zumindest eine Vorlesung für Medizinstudenten zum Thema »Plötzlicher Kindstod und Kindesmisshandlung«. Außerdem haben wir auf Bitten des KJGD begonnen, die für ihn tätigen Kinderärzte rechtsmedizinisch zu schulen. So besteht nun zumindest in der Bundeshauptstadt die Hoffnung, dass die von Familiengerichten beauftragten Gutachter künftig wenigstens die gröbsten Anzeichen von Kindesmisshandlung erkennen können.
Doch im Großen und Ganzen gilt nach wie vor: Bei Kindesmisshandlungsfällen arbeiten im Dunkeln tappende Ermittler und »Experten« meist mit ahnungslosen Entscheidern Hand in Hand. Wir Rechtsmediziner dagegen, oftmals die einzigen Beteiligten, die mit der Materie von Grund auf vertraut sind, finden viel zu selten Gehör. Oft dürfen wir schon froh sein, wenn wir nur von Angeklagten, ihren Angehörigen und Verteidigern – und nicht auch noch von Staatsanwalt und Richter – wegen angeblich abwegiger Verdächtigungen beschimpft werden.
Selbst solche Beschimpfungen würden wir allerdings hinnehmen, wenn am Ende die Täter verurteilt und die Kinder dadurch geschützt würden. Doch ahnungslose Ankläger und von rechtsmedizinischem Wissen ebenso ungetrübte Richter bringen nur selten angemessene Urteile zustande: Viel zu oft werden Kindesmisshandler freigesprochen oder kommen mit lächerlich geringen Strafen davon, weil so gut wie keiner der Akteure im Gerichtssaal über das nötige Wissen verfügt. Und dann bekommen sie ihre Kinder zurück, weil das Gericht ja keine Misshandlung feststellen konnte.
Wir fordern daher, dass auch KJGD -Kinderärzte und Kripobeamte, Staatsanwälte und Richter bundesweit rechtsmedizinisch geschult werden. In
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