Deutschlandflug
endsechziger Jahre hatte er durch seine Werbeabteilung den Slogan verbreitet: ›Avitour‹ ist nur Nummer zwei. Deshalb strengt sie sich so an!
Und heute, bei den Eröffnungsfeierlichkeiten, würde ein ›Avitour‹-Flugzeug als Nummer zwei starten. Eine Publicity, die Millionen von Werbekosten aufwog! Zweiundvierzig namhafte Fluggesellschaften würden heute den neuen Superflughafen benutzen – ›Avitour‹ war Nummer zwei! Sechsundfünfzig vollhydraulische Fluggaststeige standen bereit, Tausende von Passagieren in ihre Maschinen zu schleusen. Schon die zweite Schleuse würde sich für ›Avitour‹-Passagiere öffnen!
Bevor er sich in die erlauchte Runde der Regierungs- und Behördenvertreter, Reporter und Mitglieder des Eröffnungskomitees im festlich geschmückten Großen Konferenzsaal begab, schlich er sich über den Dienstaufzug in sein neues Direktorenzimmer.
Über Nacht war die beanstandete nachlässig geklebte Blümchentapete von einem Fachmann durch einen Spezialentwurf ersetzt worden: auf taubenblauem Untergrund die Silhouetten von Verkehrsflugzeugen der dreißiger Jahre. Die buckelige Junkers W-34. Der viermotorige Handley-Page-›Hannibal‹-Doppeldecker der ›Imperial Airways‹. Der berühmte ›China-Clipper‹, das Martin-M-130-Flugboot. Die schnittige Heinkel He-70 ›Blitz‹. Die elegante Douglas DC-2 der ›KLM‹ -Indien-Route.
Ein Tapetenpanorama, hinter dem ein nostalgisch veranlagter Mann wie Quandt ins Träumen geraten konnte!
Nicht heute! Hinter seinem Palisanderschreibtisch eröffneten die Großraumfenster ein exklusives Blickfeld. Im Mittelpunkt standen zwei Jumbo-Flugzeuge: eine ›Lufthansa‹-Boeing-747 und die DC-10 der ›Avitour‹. Beide Flugzeuge waren umstellt von Tankwagen, Ladehubern, Gepäckkarren, Kleinbussen, Elektroaggregaten, Catering-Autos. Dort war, wie es im Fachjargon heißt, der Beladevorgang voll angelaufen. Für ›Avitour‹ stand eine doppelte Festlichkeit bevor: nicht nur der Eröffnungsstart vom neuen Großflughafen, sondern auch die Eröffnung einer neuen Strecke: Deutschland – Bermuda.
Die Ziele der ›Avitour‹ lagen hauptsächlich um das Mittelmeer: Beirut, Tunis, Istanbul, Mallorca. Flüge nach Casablanca, Teheran und auf die Kanarischen Inseln kamen hinzu. ›Avi 2000‹ nach Hamilton, Bermuda, hatte zweihundertundzwanzig Erster-Klasse-Passagiere an Bord, ein Teil davon geladene Gäste. Quandt beschloß, Gundolf, den Schichtleiter seiner Flugdienstzentrale, anzurufen. Die FDZ stand auf einer Sonderfrequenz in Kontakt mit allen ›Avitour‹-Flugzeugen in UKW-Reichweite. Sie war orientiert über Standorte, Start- und Landezeiten.
Ob die AVI 2000 pünktlich um 11 Uhr 45 starten würde? Er wählte auf der ›Intercom‹- Anlage die Apparatnummer. Jedesmal, wenn er die zweite Ziffer wählte, streikte der Apparat. Auch gut. Am ersten Morgen konnte in einer derartigen Superanlage nicht alles auf Anhieb funktionieren. Der winzige Mißerfolg konnte seine Festtagslaune nicht schmälern.
Bevor er sich in das Getümmel der Eröffnungsfeierlichkeiten im Großen Konferenzsaal stürzte, lehnte er sich entspannt zurück, griff ins perlmuttbelegte Rosenholzkästchen mit seiner Lieblingsbrasil und zündete sich genußvoll eine Zigarre an. Das Ein- und Ausatmen des würzigen Rauches bewirkte bei ihm mehr als eine Stunde Yoga.
Das Telefon schrillte.
Es war der Apparat für Außenanschlüsse. Behutsam legte er die brennende Zigarre in den Onyxaschenbecher, eine Erinnerung an den Urlaub in Acapulco. Er nahm, gemächlich den letzten Rauch ausstoßend, den Hörer ab. Langsam wich die Farbe, die letzte Bräune Mexikos aus seinem Gesicht.
»Ich bin nicht der Flughafendirektor!« sagte er. »Was meinen Sie mit: wenn nicht – auch gut?«
Und langsam, während er mit aschfahlem Gesicht zuhörte, erlosch seine kostbare Brasil. Er spürte, wie Kälte in ihm emporkroch.
»Unsere Ingenieure«, sagte Thomas Gundolf zu seinem Assistenten, »können zwar Elektronenmikroskope und Mondlandefähren konstruieren, aber keine geräuschlose Wasserspülung.«
»Können schon«, schwächte Allermann ab und warf beim Verlassen der Toilettenräume einen flüchtigen Blick in den Spiegel. »Aber kein Gönner vergibt dafür einen Forschungsauftrag. Unsere Flugzeuge werden nach den modernsten Super-Ultra-Verfahren verschweißt. Versuche dagegen mal, eine Sardinenbüchse zu öffnen! Das gleiche namenlose Elend seit Erfindung der Fischkonservierung!«
»Dieser ganze Scheißflughafen
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