Diagnose zur Daemmerung
mehr am Leib trug, kam ich mir plötzlich noch nackter vor. Und in die Enge getrieben. »Ich meinte …«
»Nein, nein, das will ich doch auch«, unterbrach er mich, bevor ich es zurücknehmen konnte.
Automatisch wollte ich »Echt?« sagen, doch dann wurde mir klar, dass ich gar nicht so unsicher war. Also begnügte ich mich stattdessen mit: »Gut.« Er strahlte mich an.
Langsam aber sicher schlich sich die Realität wieder an uns heran: Unsere Liegestellung war ziemlich unbequem, und ein Handtuch gab es in diesem Truck wohl auch nicht. Aber um nichts in der Welt wollte ich ihn loslassen – diesmal nicht.
»Dir ist schon klar, dass einer von uns sich irgendwann bewegen muss, oder?«, fragte ich, nachdem ich festgestellt hatte, dass eines meiner Beine taub war.
»Niemals.« Er drückte sein Gesicht an meine Schulter, und ich ignorierte alles andere und schlang die Arme um seinen Hals.
Kapitel 49
»Ich bin so froh, dass du gestern Abend nicht mehr vorbeigekommen bist, Edie, sonst wärst du mitten in dieses Gewitter geraten.« Meine Mutter stand klein und zerbrechlich in der offenen Haustür. »Sommergewitter sind am schlimmsten.«
»Ja, das ist wahr«, stimmte ich ihr zu, was ihr ein Lächeln entlockte.
»Bleibst du zum Abendessen?«
»Nein, ich wollte nur kurz vorbeischauen.« Asher wartete vorne an der Ecke in seinem Truck; ich hatte ihn gebeten, auf dem Heimweg einen kleinen Abstecher hierher zu machen. »Ich muss noch ein paar Dinge regeln, aber wir können etwas ausmachen; abends habe ich immer Zeit.«
»Wie wäre es morgen? Es sei denn, du hast ein heißes Date, schließlich ist Freitag«, neckte sie mich.
Ich verzog das Gesicht. Dieses Mal läge das sogar im Bereich des Möglichen. Doch Asher würde sicher Verständnis zeigen, wenn ich statt auszugehen Mom besuchen wollte. Außerdem ging sie immer ziemlich früh Schlafen. »Morgen Abend passt prima.«
Auf ihrer Stirn erschienen Sorgenfalten, und mit einem prüfenden Blick fragte sie: »Kann ich Jake einladen?«
»Natürlich. Da musst du doch nicht erst fragen, Mom. Vielleicht werde ich sogar etwas mitbringen, das auch er gerne isst.«
Nachdem diese Last von ihren Schultern genommen war, lächelte sie noch strahlender. »Danke, Edie. Ich mag es einfach, wenn wir uns wie eine normale Familie verhalten.«
»Ich auch.« Ich umarmte sie vorsichtig. »Oh, Mom, warte noch kurz.« Nachdem ich mich von ihr gelöst hatte, lehnte ich mich ein Stück zurück und winkte Asher zu, damit er ausstieg und zu uns herüberkam. Mit einem dämlichen Grinsen drehte ich mich wieder zu meiner Mutter um. »Wo wir schon dabei sind: Es gibt da jemanden, den ich dir gerne vorstellen würde.«
Am nächsten Tag fuhr ich mit einem Blumenstrauß bewaffnet in die Stadt, um mein Auto abzuholen. Zu meiner Überraschung war es völlig intakt. Was denn, niemand wollte sehen, welche Schätze sich in einem uralten Chevy verbargen? Als ich die Fahrertür öffnete, rief jemand meinen Namen.
»Edie!« Es war Olympio, der mit dem Fahrrad unterwegs war. »Ich habe schon auf dich gewartet! Eigentlich dachte ich, du würdest schon gestern kommen.«
»Tut mir leid, ich hatte viel zu tun.« Einen gesegneten Tag lang hatte ich Ashers Bett nicht verlassen. Sogar einfach nur neben ihm zu schlafen war schön. Aber heute musste ich wieder erwachsen sein und mich um einiges kümmern.
»Für wen sind die Blumen?«
»Für Ti. Ich glaube nicht, dass man seine Leiche finden wird.« Und selbst wenn, würde ihn niemand identifizieren können. Wäre es irgendwie möglich gewesen, hätte ich versucht, herauszufinden, wo seine Frau begraben lag, und ihn an ihrer Seite bestatten lassen, aber ich wusste einfach nicht genug über seine Vergangenheit, um eine solche Suche anzugehen. Außerdem war der Körper ja nur die sterbliche Hülle eines Menschen, wie meine Mutter mir so gerne erklärte. Wenn es auf dieser Welt so etwas wie Gerechtigkeit gab, war Ti längst mit seiner Frau vereint, und zwar an dem Ort, den sie sich immer erträumt hatten. Jetzt, wo ich mit Asher zusammen war, neigte ich eher dazu, zu glauben, dass es im Leben auch fair zugehen konnte. Hin und wieder.
»Soll ich dich begleiten?«, bot Olympio mir an.
»Hast du denn ein Schloss für das Fahrrad?«
Der Junge schnalzte abfällig mit der Zunge. »Das wird niemand stehlen.«
»Weil du jetzt der größte curandero der Welt bist?«
»Ganz genau.« Er lehnte das Rad gegen meinen Wagen und wir kletterten gemeinsam in den Graben
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