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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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kennenlernen.
    Als ich aus der Hütte laufe, wartet ein älterer Herr; die Frau geht draußen auf dem Parkplatz auf und ab. Er sagt, er sei Jahrgang 1917 und von Beruf Brandschutzsachbearbeiter gewesen. Er lese gern Bücher und kaufe auch welche, aber lieber erst, nachdem er die Autoren gesehen habe. Er betrachtet mich skeptisch. Er wird kein Buch von mir kaufen. Zurück ins Haus. Drei Gläser im Stehen. Idiot! Idiot! Ich schreie vor Wut. Endlich, allmählich setzt die Betäubung ein. Und ich denke: Was für ein Theater. Warum soll sie nicht mit den Bildenden frühstücken? Vielleicht gehe ich rüber und setze mich dazu. Meine Füße gehorchen aber nicht wirklich, und außerdem ist es wohl zu spät, schon ein Uhr, wie eine Waise irre ich draußen herum. Ein herrlicher Tag, merke ich verwundert, eigentlich könnte doch Sidonie auf meiner Terrasse sitzen und Gedichte lesen, aber das tut sie nicht, einschießender Zorn, wo steckt sie, und warum ist sie gestern Fahrrad gefahren? Ich laufe um den Schafstall, und da sitzt sie, allein, auf der schmalen Seite, und liest, und lächelt.
    » Was machst du hier?«
    Sie erschrickt. Sie sitzt auf einem meiner Plastestühle, den sie hierhergetragen hat, noch bin ich zu überrascht, um zu wissen, ob ich erleichtert oder böse sein soll. » Du hättest doch bei mir sitzen können, da ist mehr Sonne …«
    » Ich wollte nicht stören«, sagt sie unsicher.
    » Du mich? Vor meinem Haus sitzend?«
    » Ich habe dich gehört«, sagt sie verlegen. » Du hast geklagt und geschrien.«
    Eiseskälte, ein Schwall vom Rücken übers Gesäß bis in die Schuhe hinab.
    » Ich? Unsinn!« Jetzt bin ich nüchtern, ernüchtert. » Was liest du da?«
    Ich greife danach, Was in der Schublade blieb. Ungedruckte Lyrik aus der DDR .
    » Woher?«
    » Von Robert.«
    Robert! Wie kommt der dazu, mein Revier zu bewildern!
    » Ungedruckt ist keine Empfehlung«, schnauze ich. » Man schreibt immer für Publikum. Wer Talent hat, bringt es auch in Bedrängnis zur Geltung. Es würde mich sehr wundern, wenn in diesem Band auch nur das Geringste …« Ich sehe Sidonie kichern und nehme ihr das Buch aus der Hand. Ich lese die aufgeschlagene Seite.
    Tierliebe
    Im Märzen der Bauer ist sauer,
    weil die Rößlein im Herzen, anstatt zu pflügen,
    viel lieber täten
    beieinanderliegen.
    Das ist nun wirklich der Gipfel! So ein QUATSCH ! möchte ich brüllen. Wo doch jeder weiß, daß Rößlein gar nicht beieinanderl–, sondern!!!
    Ich beherrsche mich mit Mühe. Ich starre Sidonie an. Sie sitzt immer noch auf meinem Stuhl und begegnet meinem Blick ein bißchen furchtsam, aber auch irgendwie vergnügt. Ich blicke in die großen, irregeleiteten Augen und sage: » Wenn du was lernen willst … es gibt Besseres. Halte dich an die … richtigen Autoren.«
    » Zum Beispiel?«
    » Zum Beispiel Christian Morgenstern.«
    » Ja, den mag ich!« ruft sie erfreut.
    » Wen, den Dichter oder die Gedichte?«
    » Na, ihn kenne ich ja nicht. Aber den Gedichten nach war er nett.« Schon deklamiert sie freudig:
    Ich kenne nicht des Todes Bild
    und nicht des Sterbens Nöte:
    Ich bin die Schild – ich bin die Schild –
    » Was hältst du davon ?« unterbreche ich. Ich muß schlucken. Es dauert, bis mein Atem wieder ruhig genug geht für den anderen Ton.
    Jetzt bist du da, dann bist du dort .
    Jetzt bist du nah, dann bist du fort.
    Kannst du’s fassen? Und über eine Zeit
    gehen wir beide die Ewigkeit
    dahin – dorthin. Und was blieb? …
    Komm, schließ die Augen und hab mich lieb!
    Sie denkt nach. » Fein! Nett …«
    » So nett ist es gar nicht«, muß ich jetzt sagen.
    Ihr Auge trübt sich. » Wieso?«
    » Nun, es beginnt nur harmlos. Jetzt bist du da, dann bist du dort. / Jetzt bist du nah, dann bist du fort. Schon in der zweiten Zeile wird es komplex. Da und dort sind zunächst zwei Orte. In der zweiten Zeile das nah ist bereits mehrdeutig. Und fort – statt fern – steht nicht nur des Reimes wegen da, es erweitert auch den Sinn. Es kann bedeuten: verloren, vergangen, der Autor spielt mit dem Kontext der Wörter. Derselbe Doppelsinn später: gehen wir beide assoziiert – zwischen zwei ganz wichtigen Zeilenbrüchen – zwei entgegengesetzte Sphären. Man kann lesen: Und über eine Zeit gehen wir beide die Ewigkeit, also einen ewiglangen gemeinsamen Weg. Darin schwingt Nähe, Vertrauen. Nach dem Zeilenbruch geht der Satz aber weiter: dahin, dorthin – und binnen dieses Satzes kippt das Bild. Dahin, dorthin kann bedeuten auseinander. Und

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