Die 10. Symphonie
beeilen, weil meine Frau auf mich wartet.« »Deine Frau? Aber wir ...«
»Ich weiß, ich weiß, aber ich erspare mir einen Haufen Fragen, wenn ich ihm einfach sage, dass wir verheiratet sind «, unterbrach sie der Mann mit zusammengepressten Zähnen, damit ihm das künstliche Lächeln nicht entglitt. »Was ist das Problem?«, fragte sie.
»Der Bankautomat. Er hat meine Karte geschluckt. Dieser Mann sagt, er kann sie herausholen, wenn ich ihm noch etwas Zeit gebe.«
»Aber wieso? Was hast du gemacht?«. Der Mann schwieg einige Augenblicke und versuchte, aus dem Stegreif eine überzeugende Lüge zu erfinden, doch da ihm keine einfiel, sagte er lieber die Wahrheit: »Ich habe die Geheimzahl falsch eingegeben. Dreimal.« »Dreimal?«
Die Frau lachte auf, was dem unter dem Dach zusammengepferchten Publikum ein L ächeln voller Sympathie entlockte. Dann sagte sie:
»Vielleicht denkst du besser mal darüber nach, deine Geheimzahl irgendwo in deiner Brieftasche aufzubewahren. Das ist jetzt schon das zweite Mal, seit ich dich kenne, dass dir das passiert. Und wir sind erst seit drei Monaten zusammen.«
»Ich habe sie auf irgendeinen Zettel geschrieben, aber ich fürchte, den habe ich im Hotel gelassen.« »Wenn das so ist, musst du sie dir eintätowieren lassen. An welcher Stelle Ihres Körpers hätten Sie es denn gerne, mein Herr?«, sagte sie, als ob sie mit einem Unbekannten flirtete.
»Was sollen wir tun?«, antwortete der Mann, die verführerischen Spötteleien der Frau ignorierend. »Warten wir die paar Minuten, bis er die Karte aus dem Automaten geholt hat?«
»Wie du willst, aber ich sterbe vor Hunger, und wir haben für zwei Uhr eine Paella bestellt.«
Der Mann fand, dass dies ausreichte, um eine Entscheidung zu treffen, ging zur Bank zur ück und redete kurz mit dem Angestellten. Schließlich schüttelte das Männlein feierlich die Hand des Kunden und wurde wieder von der Glastür der Bank verschluckt.
Der Mann im Jackett kehrte zum Mercedes zur ück und setzte sich auf den Beifahrersitz. »Wir können fahren.« Die Blondine bewegte den Zündschlüssel, und der Mercedes rollte langsam vom Bürgersteig. Dabei schnurrte er wie ein riesiger zahmer mechanischer Tiger.
Drei Stunden sp äter, nach einer köstlichen Paella in einem Imbiss 25 Kilometer von Mojácar, war der weiße Mercedes auf der Rückfahrt zu dem Hotel, in dem seine Insassen wohnten.
»Lass mich ans Steuer«, bat die Frau. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du ein wenig zu viel Sangria hattest.«
»Um dieses Auto zu fahren, braucht man keine Reflexe«, sagte der Mann, ließ das Lenkrad los und ergriff es erst wieder, als der Mercedes gefährlich von der Spur abkam und auf den Randstreifen der kurvigen, holprigen Straße zufuhr. »Siehst du? Man muss fast gar nichts machen. Er lenkt sich praktisch selbst.«
»Ich bitte dich, tu das nicht«, antwortete sie, und zum ersten Mal schien sie die Kontrolle zu verlieren, die sie sonst über ihre kleinste Regung hatte. »Was kann uns in einem Mercedes schon passieren?« Einen Augenblick später, bei dem Versuch, einem Traktor auszuweichen, der hinter einer Kurve aufgetaucht war, geriet der weiße Sportwagen dröhnend ins Schleudern, durchbrach eine wackelige Leitplanke, die nicht den ge ringsten Widerstand bot, und rutschte einen mit Felsen gespickten steilen Abhang hinunter. Der Mann f ürchtete instinktiv, dass sich der Wagen bei einem abrupten Bremsmanöver nach vorne überschlagen würde, dachte nur noch an sein Überleben und riss die Seitentür auf, um zu springen. Dabei prallte die Tür gegen einen Felsblock aus Granit, schlug mit aller Kraft zurück und quetschte das linke Bein des Mannes ein, das er schon hinausgestreckt hatte. Sein Schmerzensschrei verband sich mit dem wilden metallischen Knirschen der Karosserie, als die Tür von einem zweiten Felsen, noch größer als der erste, mit Stumpf und Stiel herausgerissen wurde. Der Wagen war inzwischen den Hang hinab in derart rasende Fahrt gekommen, dass an Hinausspringen nicht mehr zu denken war; der Mann versuchte also zu bremsen und der Schwerkraft zu trotzen, indem er das Auto gegen den Steilhang lenkte. Der Mercedes kippte dabei zur Seite und rutschte einige Meter wie ein Schlitten über das verdörrte Unkraut des Brachlandes. Dann setzte er seinen Sturzflug in den Abgrund fort und überschlug sich wieder und wieder. Das Glas der Windschutzscheibe zerbarst nach innen, unzählige Splitter schössen in den Innenraum wie
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