Special Edition: Alarmstufe Blond & Vor Liebe wird gewarnt (German Edition)
TAG 1
3.Juli, noch 14 Tage bis zum Erstschlag
Es hätte schlimmer kommen können. Ehrlich.
Pippa, dachte ich, sei froh, dass sie überhaupt Straßen haben, auch wenn diese mehr Feldwegen gleichen und noch nie Teer oder Asphalt aus der Nähe gesehen haben. Freue dich, dass die Schlaglöcher nur bis zu den Knien reichen und man nicht gleich den Bergrettungsdienst rufen muss, falls man mal hineinfällt. Und genieße es, dass die Bewohner tatsächlich von diesem Planeten stammen, auch wenn sie mich anglotzen, als wäre ich eine Außerirdische.
Ich erinnerte mich dunkel daran, in einer Talkshow gehört zu haben, dass es gesund sei, positiv zu denken und in allem etwas Gutes zu sehen. In dem Moment, als ich in das Dorf mit dem wenig versprechenden Namen »Frankenstein« fuhr, fühlte ich mich unglaublich gesund. Denn was ich da zu sehen bekam, hätte mir fast Schreckenslaute ohne Ende entlockt, aber ich zwang mich weiterhin zum Optimismus. Langsam zuckelte ich, tiefe Schlaglöcher vermeidend, in meinem türkisfarbenen Kleinwagen (Türkis passt hervorragend zu meinem Teint und den blonden Haaren) die Hauptstraße hinunter, an der kleinen Kirche vorbei, und hielt nach dem Ziel meiner Reise Ausschau. Frankenstein 18 lautete die Adresse, es sollte ein leer stehendes Haus mitten im Ort sein – und mein Heim für die nächsten drei Wochen.
Ich seufzte leise bei dem Gedanken an diese kommenden Tage, die ich, fernab meiner geliebten Stadt und jeglicher Zivilisation, in diesem Kaff zubringen musste, und schielte vorsichtig auf die Bewohner, die beim Klang meines Wagens neugierig aus ihren Häusern gelaufen kamen. Sie sahen aus wie Menschen, hatten zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf. Als ein Mann seine Hand zum Gruß hob, erblickte ich sogar fünf schmutzige Finger. Eindeutig Homo sapiens. Immerhin befand ich mich wirklich noch auf der Erde.
Wieder wollte ich seufzen, doch zum Wohle meiner Gesundheit rief ich mich schnell zur Ordnung. Positiv denken, Pippa. Drei Wochen, in denen du dich nicht mit deiner neurotischen Chefin herumärgern musst, drei Wochen, in denen du in Ruhe deine nicht vorhandene Karriere in Gang setzen kannst, drei Wochen, in denen du dich voll und ganz um die Einrichtung eines Hauses für deine Freundin Caroline kümmern wirst…
Ich wollte gerade noch etwas Positives zu der Liste hinzufügen, als mein Fuß erschrocken vom Gaspedal rutschte, so dass der Motor mit einem hungrigen Ächzen erstarb und mein Auto ungehalten stehenblieb. Verwirrt drehte ich mich zur Seite und starrte zum Fenster hinaus. War das wirklich schon die richtige Adresse? Rechter Hand erblickte ich ein herrschaftliches Haus mit zwei Stockwerken, außen blätterte etwas Farbe ab, an einer Wand rankte Efeu bis zum Dach, der Garten war verwildert, aber ansonsten sah es beeindruckend groß und imposant aus. Das konnte doch nicht sein! Ich hatte eine kleine Hütte erwartet, maximal ein Bauernhaus mit drei Zimmern, aber keine Villa. Doch die Hausnummer, die etwas ranzig neben dem Tor prangte, belehrte mich eines Besseren. Nummer 18. Falls ich mich tatsächlich im richtigen Dorf befand, war dieses Haus das Ziel meiner Reise. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte zum Klingelschild, wo für sehbehinderte Besucher noch einmal die Hausnummer in Übergröße stand, doch die besagte dasselbe. Ich war angekommen.
Langsam stieg ich aus und schnupperte in die Luft.
Es roch anders. Es roch… nach Sauerstoff. Ich hatte zwar keine Ahnung, ob man Sauerstoff wirklich riechen konnte, aber falls man es konnte, musste er so riechen. Sauber. Als wäre die Luft frisch gewaschen. Hin und wieder huschte ein Hauch Kuhmistaroma durch den Duft, aber das kann dir bei frischer Wäsche auch passieren (Hände weg von Billig-Waschmitteln, ich weiß, wovon ich spreche!).
Ich holte tief Luft und verschluckte mich sofort. Nach 26 Jahren Stadtluft mit ihrer täglichen Dröhnung an Auspuffgasen, Staub, Essen- und anderen Lebensausdünstungen aus jedem Fenster und Türspalt, waren es meine Lungen einfach nicht gewohnt, soviel Sauerstoff zu bekommen. Wie, wenn man seine Zimmerpflanze im Frühling zu früh auf den Balkon stellt und sie Sonnenbrand bekommt. Hustend und prustend von meinem inneren Sonnenbrand beziehungsweise meiner Sauerstoffvergiftung, torkelte ich zum Tor und stieß es auf. Es knarrte und quietschte und übertönte damit, Gott sei Dank, meinen Hustenanfall, so dass ich in der Stille des Dorfes nicht noch unangenehmer auffiel.
Langsam
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