Die 2 Chance
Sie haben ja keine Ahnung, wie gefährlich.«
Der Fahrstuhl fuhr schnell nach oben, und als die Türen sich öffneten, schaute die Chimäre auf die Aussichtsplattform des Hoover To-wers, fünfundsiebzig Meter über Stanfords Main Quad.
Es war niemand oben. Niemand, der ihn stören würde, niemand, den er töten musste. Nur der blaue Himmel, die Betonkuppel, das riesige Glockenspiel, das über den Campus schallte.
Rusty Coombs schaltete den Aufzug ab, so dass die Türen offen standen.
Dann legte er den schwarzen Nylonbeutel, den er mitgebracht hatte, auf den Boden und lehnte sich gegen die Betonwand, sodass er einem der acht vergitterten Fenster den Rücken zuwandte. Er öffnete den Beutel und holte die Einzelteile seines PSG-1, das Zielfernrohr sowie zwei Pistolen und Munition heraus.
Das hier war tatsächlich eine Steigerung – wirklich atemberaubend. Der Gipfel, richtig? Im Süden und Westen sah er die Berge, im Norden die Silhouette San Franciscos. Es war ein klarer Tag. Alles war ruhig, perfekt. Unter ihm erstreckte sich der Stanford Campus. Studenten liefen wie Ameisen umher. Die Besten und Intelligentesten der Nation.
Er setzte das Gewehr zusammen; nahtlos fügte sich der Lauf in den Schaft, dann noch die maßgearbeitete Schulterauflage, danach ruhte die Waffe wie ein kostbares Musikinstrument in seinen Armen.
Ein Spatz hockte auf einer der riesigen Glocken. Er zielte und drückte ab.
Peng
. Ein Probeschuss.
Dann schraubte er das Zielfernrohr auf und steckte das Magazin mit zwanzig Patronen hinein.
Er ging hinter der Betonwand in die Hocke. Der Wind fegte vorbei. Es klang, als würde sich eine Bö in einem Segel fangen. Der Himmel war türkisblau.
Ich werde sterben, und wisst ihr, was? Es ist mir scheißegal.
Studenten schlenderten auf den Wegen umher, lagen auf dem Rasen und lasen oder saßen auf Bänken. Wer wusste Bescheid? Wer vermutete irgendeine Gefahr? Er hatte die freie Wahl.
Er konnte jeden von ihnen unsterblich machen
.
Rusty Coombs steckte den Gewehrlauf durch die Metallstäbe eines der ein Meter achtzig hohen Fenster der Kuppel. Dann spähte er durchs Zielfernrohr und suchte sein erstes Opfer. Studenten tauchten auf: eine hübsche Japanerin mit dunkelrotem Haar und Sonnenbrille küsste ihren weißen Freund. Ein Angeber in hellgelbem Sweatshirt fuhr auf einem kanariengelben Rad. Rusty wechselte die Perspektive. Ein schwarzer Student mit langen Rastazöpfen ging zum Uni-Buchladen. Coombs lächelte. Manchmal verblüffte es ihn immer noch, wie viel Hass er in sich hatte. Er war klug genug, um zu wissen, dass er nicht nur sie verachtete. Er verachtete auch sich selbst. Er verachtete seinen durchtrainierten Körper, dessen Unzulänglichkeiten nur er kannte, aber am meisten hasste er seine Gedanken, seine Besessenheit, die Art und Weise, wie sein verfluchter Verstand arbeitete. Er fühlte sich allein, schon so gottverdammt lang. Wie jetzt, in diesem Moment.
In der Ferne sah er einen blauen Explorer mit blinkenden Lichtern. Er fuhr vor das Verwaltungsgebäude. Dieses widerliche Miststück aus San Francisco stieg aus. Sein Herz schlug wie verrückt.
Sie war hier. Jetzt würde er doch noch seine Chance bekommen.
Er richtete das Zielfernrohr auf die hübsche Japanerin, die mit ihrem Freund auf dem Rasen knutschte. O Gott, wie hasste er die beiden. Rassenschande – für beide Rassen.
Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Er schwenkte das Gewehr auf das Niggermädchen mit den Maiskolben. An ihrem Hals hing an einer Kette ein goldenes Herz. Ihre Augen strahlten.
Es ist eben meine Natur. Er grinste und legte den Finger um den kalten Abzug aus Metall.
Die Chimäre war wieder im Geschäft.
Der Explorer hielt mit quietschenden Reifen vor dem Verwaltungsgebäude. Jacobi und ich stiegen aus und nahmen die Abkürzung durch die spanische Loggia, von der aus man den Main Quad überblickte.
Wir trafen Kimes, der in ein Mikrofon Befehle brüllte. Neben ihm stand mit grimmigem Gesicht der Dekan der Universität, Felix Stern. »Wir haben Rusty Coombs immer noch nicht gefunden«, teilte mir Kimes mit. »Vor zwanzig Minuten wurde er auf dem Quad gesehen. Jetzt ist er wieder verschwunden.«
»Wie weit sind wir mit dem SWAT?«, fragte ich.
»Ist unterwegs. Meinen Sie, dass wir sie brauchen werden?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nicht. Wir werden die Leute nicht brauchen, wenn Coombs verschreckt wurde und untergetaucht ist.«
In diesem Moment hörten wir Schüsse. Ich wusste, dass keiner der Polizisten
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