Die 39 Zeichen 02 - Mozarts Geheimnis
noch Langweiligeres zu finden!«
Doch als sie Anstalten machte, die Stufen in die dunkle, staubige Bibliothek hinabzugehen, begleitete er sie doch. Immerhin hatten sie einige ihrer besten Hinweise bisher in Bibliotheken gefunden. Und außerdem … wenn sie jetzt das Mozarthaus ohne irgendeinen zählbaren Erfolg verließen, würde das bedeuten, dass er ganz umsonst gelitten hatte.
Es war keine Leihbibliothek. Ein einziger, mindestens 20 Jahre alter Computer enthielt eine Liste der Bibliotheksbestände. Wenn man sich einmal entschieden hatte, was man wollte, musste man ein Formular ausfüllen und es einer der Bibliothekarinnen aushändigen, die vom Aussehen her auch Mozarts Großmutter hätte sein können.
Sie warteten am Schalter, bis sie an der Reihe waren, dann schnappte sich Amy die Tastatur. Sie änderte die Sprache von Deutsch auf Englisch und suchte zuerst nach KV 617 , dann nach Benjamin Franklin. Als sie nichts fanden, was sie nicht auch schon vorher gewusst hatten, verlegte sie den Schwerpunkt auf Mozarts Privatleben. Auf diese Weise entdeckte sie Maria Anna - genannt »Nannerl« - Mozart.
»Mozart hatte eine ältere Schwester!«, flüsterte sie aufgeregt.
»Ich fühle mit ihm«, gähnte Dan.
»Ich erinnere mich, dass Grace sie einmal erwähnt hat«, fuhr Amy fort. »Sie war ebenso begabt wie Mozart, doch
sie erhielt niemals dieselbe Aufmerksamkeit oder Ausbildung, weil sie ein Mädchen war.«
Sie scrollte nach unten. »Und schau! Das Original ihres Tagebuchs befindet sich hier in dieser Bibliothek!«
Dan war beleidigt. Ihm war durchaus bewusst, dass Amy ihrer Großmutter sehr nahegestanden hatte, aber er mochte es nicht, ständig daran erinnert zu werden und vor Augen geführt zu bekommen, wie viel die beiden miteinander geteilt hatten. »Ich dachte, wir suchen nach Mozart, nicht nach seiner Schwester.«
»Wenn Mozart ein Cahill war, war Nannerl es auch«, stellte Amy fest. »Aber da ist noch etwas. Schau uns beide an. Der ganze Vormittag war für dich eine einzige Verschwendung, während ich mich an jedes Detail erinnere. Was, wenn es mit Mozart und Nannerl genauso war?«
»Toll, jetzt nennst du Mozart auch noch ignorant.« Er sah entrüstet aus. »Und mich ebenfalls!«
»Nicht ignorant. Aber männliche Gehirne sind einfach anders gepolt. Ich wette, es gibt Dinge, die Nannerl in ihr Tagebuch geschrieben hat, von denen Wolfgang in einer Million Jahren keine Notiz genommen hätte.«
Sie füllte schnell ein Antragsformular aus und drückte es der Bibliothekarin in die Hand.
Die Frau blickte sie überrascht an. »Dies ist ein handgeschriebenes Tagebuch in deutscher Sprache. Könnt ihr Kinder überhaupt Deutsch lesen?«
»N-nun …« begann Amy verwirrt.
»Wir müssen es wirklich unbedingt sehen«, mischte
sich Dan mit Bestimmtheit ein. Als die Frau davonschlurfte, um den Band zu suchen, flüsterte er: »Es wird sicher irgendetwas geben, das wir verstehen - vielleicht eine Zeichnung oder versteckte Noten, wie bei Franklins Sachen.«
Amy nickte. Selbst der winzigste Hinweis war besser als null Komma gar keinen Fortschritt zu machen.
Die Wartezeit kam ihnen ewig vor. Dann hörten sie ein Keuchen und einen kleinen Schrei, und die Bibliothekarin kam im Laufschritt zu ihnen zurück, ihr Gesicht war kreidebleich, die Augen weit aufgerissen. Mit zitternden Händen wählte sie eine Telefonnummer und begann in panischen Tonfall zu sprechen. Amy und Dan konnten sie nicht verstehen, doch ein Wort erkannten sie - Polizei .
»Glaubst du, sie hat irgendwie herausgefunden, dass wir vom Jugendamt in Massachusetts gesucht werden?«, fragte Dan erschrocken.
»Wie sollte das gehen? Wir haben ihr nicht einmal unsere Namen verraten!«
Die Antwort erhielten sie schließlich von der aufgelösten Bibliothekarin selbst. »Es tut mir so leid! Das ist ein furchtbares Unglück! Nannerls Tagebuch ist nicht mehr da! Man hat es gestohlen!«
Viertes Kapitel
Nellie Gomez hatte Katzen noch nie besonders gemocht. Und das war schon so, bevor sie hauptamtliche Kümmertante eines Ägyptischen Maus auf Nulldiät geworden war. Sie schaltete ihren iPod aus und betrachtete Saladin besorgt. Sie hatte erwartet, dass der Kater irgendwann schon wieder anfangen würde zu fressen. Doch offensichtlich war Saladin zäher, als es zunächst den Anschein machte. Sie hatte schon viele Geschichten über Grace Cahills außerordentliche Charakterstärke gehört. Und ganz offensichtlich war es Amys und Dans Großmutter gelungen, diesen Wesenszug
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