Die 39 Zeichen 05 - Die Rache der Romanows
der Rezeption abgegeben.«
Amy nahm den Umschlag entgegen. Der Hotelboy trat einen Schritt näher und strahlte sie erwartungsvoll an.
»Ich bringe die Nachricht direkt von der Rezeption«, erklärte er. »Für Sie, Madam.«
Er stellte seinen Fuß diskret in den Türspalt und Amy wurde ganz nervös.
»Haben Sie sonst noch etwas für mich?«, fragte sie.
»Jemand hat das für Sie abgegeben«, wiederholte der Hotelboy und zeigte mit zufriedenem Grinsen auf den Umschlag.
»Gib ihm das hier«, meinte Dan. »Dann kann ich endlich weiterschlafen.«
Dans Stimme klang dumpf, und als Amy sich umwandte, sah sie, dass er in den Teppich nuschelte, weil er zu faul war, den Kopf zu heben. Er hielt einen ägyptischen Fünfpfundschein in der Hand.
Amy schloss die Tür. Die Neugier war jetzt zu übermächtig, als dass sie noch einmal hätte schlafen können. Der Umschlag war mit einer altmodischen Schreibmaschine beschriftet worden, bei der offenbar das große A fehlte. Außerdem waren einige Buchstaben willkürlich unterstrichen.
Amy riss den Umschlag auf, setzte sich auf die Couch und wurde kreidebleich, als sie die Nachricht las. Saladin miaute vor Hunger und streckte sich genüsslich auf dem goldfarbenen Bettbezug aus.
»Dan, wach auf.«
Dan rührte sich nicht, also rief sie laut.
»Telegramm für Dan!«
Dan hob etwas den Kopf. Es sah aus, als müsse er für die restliche Bewegung Kraft sammeln. Schließlich stand er vom Fußboden auf und ließ sich gleich wieder aufs Sofa fallen. Nellie lag noch immer unter den Decken des zweiten Betts begraben und das dünne weiße Kabel ihrer iPod-Ohrstecker lugte unter dem Kissenberg über ihrem Kopf hervor.
»Die würde auch weiterpennen, wenn neben ihr eine Bombe explodieren würde«, meinte Dan.
»Dan! Hör zu!«, sagte Amy und las die Nachricht vor: »Cairo International Airport, Schließfach Nummer 328. 56-12-19. NRR.«
»Hört sich an wie eine Falle. Lass uns lieber Frühstück bestellen und noch eine Runde schlafen.«
»Eher nicht«, erwiderte Amy. Sie hielt ihm das Telegramm hin. Was er da las, nahm ihm den Atem.
Aus Dämmer-Dan wurde Panik-Dan.
»Das weiß niemand, nicht einmal Nellie.«
»Grace wusste es«, sagte Amy. »Du, ich und Grace. Wer auch immer uns das geschickt hat, muss Grace gut genug gekannt haben, um diese Information von ihr zu bekommen.«
Dan war immer noch so verblüfft, dass er kein Wort herausbrachte, aber Amy wusste, woran er dachte. Erst letztes Jahr hatte er seine preisgekrönte Kronkorkensammlung – von Dr. Pepper bis zu klassischen Coca-Cola-Deckeln, und das alles in einer supercoolen alten Zigarrenschachtel – mit zu Grace’ Haus genommen. Grace hatte ihm einen Spaten gegeben und gemeint, er könne seine Sammlung auf ihrem Anwesen vergraben. Dan hatte Amy und Grace verraten, wo und wie tief er den Schatz versteckt hatte – nur für den Fall, dass er unerwartet beim Snowboarden oder Fallschirmspringen ums Leben käme. Er meinte damals, es würde sich immer auszahlen, auf eine Kronkorkensammlung gut aufzupassen.
Dan sah seine Schwester an und seine grünen Augen flackerten hoffnungsvoll.
»Glaubst du, Grace hilft uns wieder einmal?«
Amy und Dan sprachen von Grace, als sei ihre Großmutter noch am Leben, und für kurze Zeit fühlte es sich auch so an. Ihre geliebte Grace, die ihre Erben vor die Wahl gestellt hatte: eine Million Dollar oder eines von 39 Zeichen auf dem Weg zu außergewöhnlicher Macht. Amy konnte noch immer nicht fassen, wohin diese Jagd die Geschwister in so kurzer Zeit geführt hatte. Sie hatten vier Kontinente überquert und waren mehr als ein Mal beinahe von ihren eigenen Verwandten getötet worden. Wenn es nun auch nur den geringsten Verdacht
gab, dass Grace Cahill ihnen noch aus dem Grab heraus half, dann mussten sie der Spur folgen, so viel war sicher.
»Komm. Wir gehen.«
Zehn Minuten später standen Dan und Amy mit einem Rucksack in der überfüllten Hotellobby. Dan hatte darauf bestanden, seinen heiß geliebten Laptop mitzunehmen, und Amy hatte sich schnell noch Nellies Handy geschnappt – für alle Fälle.
»Ich hab Nellie auf einen Zettel geschrieben, wir würden Frühstück holen. Hoffentlich dauert das hier nicht den ganzen Morgen. Wir müssen jetzt schnellstens zum Flughafen«, erklärte Amy.
»Kein Problem. Lass mich nur machen.«
Dan öffnete den Rucksack, holte ein Bündel Banknoten heraus und stopfte die verknitterten Scheine in seine Hosentaschen. Es war keine große Summe, etwa fünfzig
Weitere Kostenlose Bücher