Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
fünf Minuten gebraucht, weil sie ihn ins Becken schubste, als er vier Jahre alt war. Aus purer Verzweiflung hielt er sich tatsächlich bis zur anderen Seite strampelnd über Wasser, aber er hätte ertrinken können. Nicht von ungefähr wurde Lisa Cold immer ganz unruhig, wenn ihre Schwiegermutter zu Besuch kam: Sie musste ihre Vorsichtsmaßnahmen verdoppeln, wollte sie Leib und Leben ihrer Kinder nicht gefährden.
Nach diesen anderthalb Stunden am Flughafen hatte Alex die Nase gestrichen voll. Das könnte Kate Cold so passen, dass er sich hier ins Hemd machte, diese Genugtuung würde er ihr nicht gönnen; er musste handeln wie ein Mann. Er zog die Jacke an, schob sich den Rucksack auf den Schultern zurecht und ging dem Hinweisschild nach auf den Vorplatz, wo die Busse ins Zentrum Manhattan abfuhren. Als er aus dem überheizten, vom Stimmengewirr erfüllten und hell erleuchteten Innern des Gebäudes in die Kälte, Stille und Dunkelheit der Nacht draußen trat, kam er sich vor, als würde er gegen eine Wand laufen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass der Winter in New York so ungemütlich war. Es roch nach Benzin, auf dem Asphalt pappte der Schneematsch, und eisige Windböen stachen ihn ins Gesicht wie Nadeln. Jetzt fehlten ihm Handschuhe und Mütze, die er in Kalifornien nie brauchte, sie lagen mit seiner übrigen Skiausrüstung in einer Truhe in der Garage, wo er sie wegen des beklommenen Abschieds von seiner Familie vergessen hatte. Er spürte, wie die Wunde an seiner Hand, die ihn bisher nicht weiter gestört hatte, zu pochen begann. Er musste den Verband sofort wechseln, wenn er bei seiner Großmutter ankam. Er hatte keinen Schimmer, wie weit es bis zu ihrer Wohnung war und was ein Taxi dorthin kosten würde. Er brauchte einen Stadtplan, aber wo sollte er den herkriegen? Die Ohren eiskalt, die Hände in den Taschen vergraben, ging er auf die Bushaltestelle zu.
»Hi, bist du allein unterwegs?«, sprach ihn ein Mädchen an.
Sie hatte eine Stofftasche über der Schulter, einen Samthut bis zu den Augenbrauen ins Gesicht gezogen, blau lackierte Fingernägel und einen silbernen Ring in der Nase. Alex starrte sie verwundert an, trotz ihrer verschlissenen Hose und der Militärstiefel und obwohl sie eher schmutzig und ausgehungert aussah, war sie fast so hübsch wie seine heimliche Liebe Cecilia Burns. Gegen die Kälte trug sie nichts als eine kurze neonfarbene Kunstlederjacke, die ihr kaum bis über die Taille reichte. Handschuhe fand sie wohl unnötig. Alex stammelte eine ausweichende Antwort. Sein Vater hatte ihm geraten, nicht mit Fremden zu sprechen, aber dieses Mädchen konnte keine Gefahr darstellen, sie war höchstens ein paar Jahre älter als er und fast so dünn und klein wie seine Mutter. Tatsächlich fühlte sich Alex neben ihr stark.
»Wo fährst du hin?«, beharrte die Unbekannte und steckte sich eine Zigarette an.
»Zu meiner Großmutter, sie wohnt in der Vierzehnten Straße, Ecke Zweite Avenue. Hast du eine Ahnung, wie ich da hinkomme?«
»Na klar, ich fahre auch in die Richtung. Wir können den Bus nehmen. Ich heiße Morgana.«
»Den Namen habe ich ja noch nie gehört.«
»Ich habe ihn mir selber ausgesucht. Meine bescheuerte Mutter hatte mir einen gegeben, der genauso stinkgewöhnlich war wie sie. Und du, wie heißt du?« Sie blies den Rauch durch die Nase.
»Alexander Cold. Die meisten nennen mich Alex«, antwortete er, musste aber ziemlich schlucken, weil sie so von ihrer Familie sprach.
Sie warteten ungefähr zehn Minuten, stapften im Schnee herum, um die Füße warm zu bekommen, und Morgana nutzte die Zeit dazu, ihm eine knappe Zusammenfassung ihres Lebens zu liefern: Sie ging seit Jahren nicht mehr zur Schule – die taugte ja doch bloß für Deppen – und war von zu Hause abgehauen, weil sie ihren Stiefvater nicht ertragen konnte, der ein widerliches Schwein war.
»Irgendwann spiele ich in einer Band, so viel ist sicher«, sagte sie. »Ich brauche bloß noch eine E-Gitarre. Was ist denn das da an deinem Rucksack? Ist da ein Instrument drin?«
»Eine Flöte.«
»Elektrisch?«
»Nein, Batteriebetrieb.« Alex verdrehte die Augen.
~
Als seine Ohren eben zu Eiswürfeln gefroren waren, kam der Bus, und die beiden stiegen ein. Alex bezahlte seine Fahrkarte und nahm das Wechselgeld in Empfang, während Morgana nacheinander ihre sämtlichen Jackentaschen durchwühlte.
»Mein Geldbeutel! Mein Geldbeutel ist weg! Irgendwer hat mich beklaut …«, stammelte sie.
»Tut mir leid, Kleine. Dann
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