Die Affäre Mollath - kompakt: Der Mann, der zu viel wusste
Die Affäre Mollath: Ein Blick in den Abgrund
Der Weg in eine abgeschottete, für den Normalbürger fremde und ferne Welt beginnt an der Sicherheitsschleuse. Geldbeutel, Handy und Schlüssel sind abzugeben. Danach geht es durch einen unterirdischen Gang, so niedrig, dass man sich beim Gehen unwillkürlich bückt. Durch eine zweite Schleuse steigt man eine Treppe hinauf und betritt schließlich den Besucherraum der Forensischen Psychiatrie im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Die Fenster sind nicht vergittert, aber aus ausbruchsicherem Spezialglas. Ringsum sind die Türen abgesperrt. Ein paar Tische; um jeden sind vier Stühle akkurat plaziert. Ein paar Topfpflanzen kämpfen vergeblich gegen die Tristesse an, an der Wand hängen Bilder aus der Maltherapie. Er kommt. »Grüß Gott«, sagt er in weichem Fränkisch und reicht die Hand, »Gustl Mollath«.
»Ist er denn nun verrückt?«, will die Kollegin eines Rundfunksenders wenige Tage später von uns wissen. »Ich meine«, präzisiert sie, »ist er zu Recht eingesperrt in der geschlossenen Psychiatrie oder nicht?« Was soll man darauf antworten? Wie gefährlich ist Gustl Mollath? Oder sollte man besser fragen: Wem ist er gefährlich und warum?
Unsere Antwort war und ist klar: Wir wissen nicht, ob Gustl Mollath an einer psychischen Erkrankung leidet. Wir sind Journalisten, keine Psychiater. Wir wissen nicht, ob er 2006 nervenkrank war, als man den vermeintlich gefährlichen Straftäter in die Forensische Psychiatrie einwies. Wir wissen nicht, ob er als Gesunder in den sieben Jahren in geschlossenen Anstalten überhaupt erst krank wurde. Oder ob er damals wie heute kerngesund war und ist.
Wovon wir aber nach monatelangen Recherchen absolut überzeugt sind: In der Affäre Gustl Mollath haben nicht nur die Organe des Rechtsstaats multipel versagt. Er ist auch das Opfer skrupelloser Machenschaften.
Wir haben es im Fall Mollath mit einem für ihn verhängnisvollen Gerichtsurteil zu tun, das getränkt ist von hanebüchenen, sachlichen Fehlern. Es kam obendrein unter Umständen zustande, die fragwürdiger und gemeiner kaum sein konnten. Mollaths Rechte wurden mit Füßen getreten.
Wir haben es überhaupt mit einer Justiz zu tun, die sich unfehlbar gebärdet und neue Fakten zugunsten des einmal abgeurteilten Mollath jahrelang nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Die abblockte, statt aufzuklären. Die seine Schwarzgeldvorwürfe gegen Bankmitarbeiter nie überprüfte, stattdessen aber als Beleg für seinen Wahn auslegte. Eine Justiz, die stur und beleidigt darauf pochte, dass das, was rechtskräftig ist, auch richtig sein muss. Im Zweifel immer gegen den Angeklagten, schien die Devise zu sein.
Wir haben es mit psychiatrischen Gutachtern zu tun, die einen Menschen jahrelang immer wieder für verrückt und gemeingefährlich erklären, obwohl kaum einer dieser Sachverständigen ihn persönlich getroffen, geschweige denn untersucht hat. Die bloße Erzählung einer verärgerten Ehefrau und der verantwortungslose Wisch einer Nervenärztin reichten aus, um diesen fatalen Mechanismus in Gang zu setzen. Die Mechanik im Fall Mollath.
Wir haben es mit einer großen Bank zu tun, die moralisch versagt hat. Weil sie jahrelang wesentliche Informationen zurückhielt, die Mollaths Darstellungen über illegale Geldgeschäfte und damit seine Glaubwürdigkeit gestützt hätten. Die stattdessen tatenlos zusah, wie er in der geschlossenen Psychiatrie weggesperrt wurde: »Leben Sie. Wir kümmern uns um die Details.«
Wir haben es mit einer Politik zu tun, namentlich einer bayerischen Justizministerin, deren rechtsstaatliches Verständnis dem simplen Grundsatz folgt, dass in Bayern nicht sein kann, was nicht sein darf. Die neue Fakten ignorierte. Und die erst auf massiven Druck von außen von ihrer sturen Haltung abwich, als es um ihren Ministerposten ging.
Wir haben es mit dem Chef des Bayerischen Landesamtes für Steuern zu tun, der in diesem Fall im Landtag nicht die Wahrheit sagte, später herumeierte und sich auf billige Weise herausredete.
Wir haben es im Fall Mollath mit Intrigen zu tun, mit Lug und Trug, einer Ehefrau und anderen Menschen, denen es perfekt in den Kram passte, dass da ein Querkopf auf Jahre hinaus in der Anstalt verschwand, den man rechtlos, hilflos und mittellos machte.
Kurzum: Gustl Mollath ist auf eine perfide Weise unter die Räder eines Apparates gekommen, der nicht mal wissen will, dass er überhaupt ein Apparat ist.
Ein Einzelfall?
Zumindest einer, der in Abgründe
Weitere Kostenlose Bücher