Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
Klick.
Was für ein Kiefer! Messerscharf und stark genug, ein menschliches Bein durchzubeißen, verengt er sich zu einem gewaltigen, moosbewachsenen Schnabel.
Ein Ungeheuer aus der Urzeit. Bis heute hat es unentdeckt überlebt. Seine kleinen, kalten Augen starren direkt in die Linse. Welch außergewöhnliches Motiv!
Ein herausragendes, ein einzigartiges Bild!
Eine Sensation!
1.
»Ich bin mir sicher, dass sie tot ist.«
Die geflüsterten Worte waren garantiert nicht für meine Ohren bestimmt. Trotzdem wanden sie sich zwischen Gemurmel und Schlagermusik hindurch in mein Bewusstsein.
»Das sagt mir mein Bauchgefühl, Lenny. Sie ist tot.«
Das Gekicher von Lena, Karo und Franzi verschwamm mit den Hintergrundgeräuschen, während das Gespräch am Nebentisch meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Kriminalkommissar Lennart Staschek saß Rücken an Rücken mit Lena, die zufällig nicht nur seine Tochter, sondern auch meine beste Freundin war. Von meinem Platz aus hatte ich ihn im Blick. Der Tisch, an dem er saß, stand direkt vor der blank polierten Theke aus dunklem Holz, hinter der Molle Biergläser abspülte. Nicht weit genug weg, wenn das Gespräch, das der Kommissar führte, ungehört in der Geräuschkulisse der Kneipe versickern sollte.
Ich jedenfalls konnte problemlos mithören, während meine Freundinnen aufgeregt diskutierten, ob es sich bei einem Rempler in der U-Bahn um eine Anmache handeln könne. Gedankenverloren nippte ich an meinem Sektglas, die Unterhaltung am Nebentisch schien die interessantere zu sein.
»Ich nenn das mal ein Gerücht«, antwortete Staschek jetzt skeptisch. »Ein ziemlich gewagtes, denn einen Beweis sehe ich nicht. Für mich klingt das nach ein paar gelangweilten Hausfrauen, die Miss Marple spielen, um ein bisschen Abwechslung vom Kochen und Putzen zu bekommen, Matze.«
Der Spott in seiner samtweichen Stimme war nicht zu überhören. Der Leiter der Mordkommission strich durch seine dicken, kastanienbraunen Haare, lehnte sich mit seinem Bier in der Hand zurück und streckte die langen Beine unter dem Tisch aus. Sein zerknautschter Mantel verlieh ihm den Charme eines Siebzigerjahreermittlers. Mit seinem Aussehen und seinem leicht verstaubten Sexappeal hätte Lennart Staschek eher in eine entsprechende Fernsehserie gepasst als in eine schmuddelige Kneipe im Bochumer Stadtteil Stahlhausen.
»Verrenn dich nicht, Matze.« Staschek platzierte sein Bierglas zwischen grinsenden Osterhasen, bunten Plastikeiern und dem giftgrünen Ziergras, das Molle eigentlich schon vor einer Woche hätte wegräumen können.
»Ich bin nicht bescheuert, Lenny. Zuerst hab ich auch gedacht, es wird Zeit, dass Katrin wieder arbeiten geht, damit sie aufhört, anderen Leuten hinterherzuspionieren«, gestand der Fremde schulterzuckend. »Aber mittlerweile ist unsere Nachbarin seit drei Wochen verschwunden. Der Ehemann weicht allen Fragen aus. Und es stimmt schon, was Katrin sagt. Dass es in letzter Zeit heftig Zoff gab bei denen. In den alten Reihenhäusern kriegt man ja immer mit, was nebenan los ist. Ich habe ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.«
Stascheks Begleiter saß dem Kriminalkommissar gegenüber, ich konnte ihn in Ruhe betrachten. Er war ein kantiger Kerl in Jeans, ein dunkler, an den Enden nach oben gezwirbelter Schnurrbart teilte sein Gesicht in zwei gleich große Hälften: oben Augenpartie samt einer kurzen Nase, unten ein lang gezogenes Kinn. Seine kräftigen Hände fummelten an den Fransen von Molles rot karierter Tischdecke.
»Ich will mich nicht lächerlich machen, Lenny …«
Der Typ war auch ein Bulle, mutmaßte ich spaßeshalber.
Zwar genoss ich es, neuerdings Freudinnen zu haben, mit denen ich Hühnertreffen wie dieses veranstalten konnte. Doch begriff ich nicht, warum ein Grobmotoriker, der in der U-Bahn Frauen umrannte, ein Grund für eine halbstündige Diskussion sein konnte. Lag wohl daran, dass ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens eine Außenseiterin mit lila Haaren gewesen war und mir in Frauengesprächen einfach die Übung fehlte.
»Dabei hatte ich diese Jeans an, in der mein Hintern aussieht, als gehört er zu einem Nilpferd«, zweifelte Franzi.
Lena und Karo widersprachen prompt. Mein Blick wanderte kurz über die Mädchen. Lena war groß und schmal, mit den schönen Augen, dem dicken Kastanienhaar und der unaufdringlichen Eleganz ihres Vaters. Karo trug zu ihrem blonden Pferdeschwanz und dem grellgrünen Minirock ein T-Shirt mit Stinkefingeraufdruck. Zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher