Die Ahnen von Avalon
entsprechenden Worten fehlt es dir selbst wohl auch nicht, meine Liebe. Nein, nein, das soll kein Vorwurf sein«, fügte er hastig hinzu. »Aber du bist aus den Entbehrungen sichtlich gestärkt hervorgegangen, und das macht wiederum mir Mut. Wir stehen in deiner Schuld.«
Mittschiffs waren einige Matrosen damit beschäftigt, die Taue zu spleißen, die beim letzten Sturm gerissen waren, während andere ein Ersatzsegel flickten. Chedan spürte, wie sie ihm nachsahen, als er mit Damisa zum Heck ging, aber die Kastenschranken hielten alle davon ab, ihn mit Fragen zu bedrängen. Die Schüler saßen mit ein oder zwei Priestern in einem lockeren Halbkreis unter einem Sonnendach zusammen, das aus den Resten eines zerrissenen und nicht mehr zu flickenden Segels bestand. Beim Anblick des berühmten Meisters Chedan Arados verstummten sogleich die Gespräche. Er sah aufmerksam in die Runde.
Damisa hatte er als kleines Mädchen auf Alkonath kennen gelernt. Schon damals war sie nicht schüchtern gewesen, und vermutlich war es ihr gutes Recht, wenn sie ihn den anderen jetzt vorführte wie eine Jagdtrophäe. Die Sternenkarten hatten ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er die Priesterschüler vernachlässigt hatte; dabei musste er sich ihrer wohl annehmen, nachdem Tiriki so krank war.
Damisa hockte sich zu ihren Mitschülern auf die Matte und sah ihn auffordernd an. Der Magier ließ sich mit schmerzenden Knochen auf einer Taurolle nieder und schaute mit einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es aufmunternd wirkte, in ein junges Gesicht nach dem anderen.
»Es tut mir Leid, dass ich bisher zu beschäftigt war, um zu euch zu kommen«, hob er an, »aber nach allem, was ich höre, habt ihr es verstanden, euch auch in diesen schwierigen Zeiten nützlich zu machen. Ich habe gelernt, mich mit Ratschlägen zurückzuhalten, wo sie nicht benötigt werden. Aber einige von euch haben offenbar den Eindruck, unsere Lage sei hoffnungslos. Nun ist es nicht nur verständlich, wenn ihr euch Sorgen macht, es ist sogar vernünftig, wenn man bedenkt, wo wir uns befinden. Aber die Hoffnung aufzugeben wäre ein schwerer Fehler.«
Die kleine Iriel stieß einen Laut aus, der wie ein Lachen oder ein ersticktes Schluchzen klang. »Ein Fehler? Meister, wir lernen Zeichen zu deuten, das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Ausbildung. Wir wissen, dass es dunkel wird, wenn die Sonne untergeht. Stehen keine Sterne am Himmel, dann kann es Regen geben. Und jetzt sagen mir die Zeichen, dass wir hier draußen jämmerlich zugrunde gehen werden, denn wir haben weder ein anderes Schiff gesehen noch Land gesichtet.«
Ein Schatten glitt über das Deck. Chedan schaute ihm nach, bis er einen weißen Vogel vor dem azurblauen Himmel aufleuchten sah.
»Ich bestreite nicht, was du gesehen hast.« Er wandte sich wieder Iriel zu. »Obwohl ich weiter herumgekommen bin als die meisten Menschen, kann auch ich nicht ganz genau sagen, wo wir uns befinden. Aber du ziehst Schlüsse, bevor du alle Beweise gesammelt hast. Verfalle nicht in den Fehler derjenigen, die jede Veränderung als Niedergang betrachten und behaupten, am Ende stünde die Finsternis. Am Ende steht auch das Licht - und in diesem Licht werden wir endlich den Kosmos sehen und unseren Platz darin erkennen, wir werden den Sinn unserer Hoffnungen und unserer Verluste begreifen, unserer Liebe und unserer Träume…«
»Gewiss, Meister, unser Geist wird überleben, daran zweifelt niemand.« Kalarans hübsches Gesicht hatte sich zu einem höhnischen Grinsen verzerrt. »Aber wenn wir so wichtig sind, warum lassen uns die Götter dann hier am Ende der Welt in Ungewissheit schmoren?«
»Kalaran, Kalaran.« Chedan schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Du hast Feuer und Zerstörung nahezu unversehrt überstanden und beklagst dich, weil du ein wenig Ungewissheit ertragen musst? Kein Wunder, dass die Götter so selten eingreifen! Sie haben uns in ihrer Gnade einen Weg aus der Katastrophe gezeigt, aber das genügt dir nicht! Denn man mutet dir einige Strapazen zu.« Chedan drohte in gespieltem Abscheu mit dem Finger. »Nun gibt es wahrhaftig keine Rettung mehr.« Er verstummte. Die Schüler lachten nervös.
»Ihr Kinder des alten Atlantis«, fuhr er etwas leiser fort, »wir haben alles verloren außer uns selbst, doch wenn ich sage, wir sollen dankbar sein für unsere Mühsal, dann wiederhole ich nicht nur einen abgedroschenen philosophischen Leitsatz. Denn wir könnten unter dieser Mühsal nicht stöhnen,
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