Schwingen der Nacht
1. KAPITEL
E s nieselte ein wenig, deshalb zog Harris Black eine Regenjacke über, ehe er zum Joggen nach draußen ging. Die Lichter der Straßenlaternen spiegelten sich auf dem nassen Asphalt. Nach der Hitze des Augusttages hatte der leichte Regen die gleiche Wirkung wie ein Aufguss in der Sauna. Alles schien zu dampfen.
Harris liebte seine Joggingrunde am Abend aus zwei Gründen. Erstens waren weniger Menschen unterwegs und es herrschte kaum Verkehr auf den Straßen. Und zweitens traf er Clair Caldwell.
Clair wohnte in dem Apartmentgebäude nebenan und begleitete ihn bei seinen abendlichen Läufen. Es gab ein Dutzend Gründe, warum Harris sie so sehr mochte.
Anders als die meisten Frauen fand Clair an denselben Dingen Gefallen wie er: Sportübertragungen im Fernsehen, Joggen und Junkfood. Nicht ein einziges Mal hatte sie ihn gezwungen, eine romantische Komödie über sich ergehen zu lassen.
Gott sei Dank.
Stattdessen hatten sie sich an einem gemütlichen Samstagnachmittag alle
Alien
-Filme angesehen, einen nach dem anderen, ohne sich ein einziges Mal von der Couch zu bewegen.
Clairs Job faszinierte ihn. Als zwei angesehene Privatdetektive ihr Büro in die Nähe von Chester, Ohio, verlegt hatten, wo sie wohnten, hatte Clair die Chance ergriffen und arbeitete nun als Sekretärin in der Detektei. Sie war abenteuerlustig und genoss den Nervenkitzel bei der Arbeit. Doch ihre Pflichten gingen über die bloßen Tätigkeiten einer Sekretärin weit hinaus. Sie war ein Genie am Computer, half bei Online-Ermittlungen und war eine echte Allrounderin. Und sie hatte immer lustige Anekdoten zu erzählen.
Umgekehrt lauschte sie gern seinen Geschichten über seine Arbeit und seine Freunde. Als Feuerwehrmann war er Zielscheibe unzähliger derber Witze, und Clair schien sie alle zu kennen. Sie zog ihn über die Länge seines Schlauches auf, sein “schweres Gerät” und über seine “ganz spezielle” Ausrüstung. Doch wenn er ernst war, war sie es auch. Sie hatte die Fähigkeit, seine Stimmungen zu erahnen, wie er es noch bei keinem anderen Menschen erlebt hatte. Selbst bei seinen besten Freunden Buck, Ethan und Riley musste er sich manchmal hinter einer Maske verstecken. Niemand wollte einen mürrischen oder launischen Kumpel – nicht einmal, wenn er gerade ein Feuer bekämpft hatte, das keinen guten Ausgang genommen hatte. In solchen Momenten versuchten sie immer, ihn durch Scherze aufzumuntern, damit er wieder bessere Laune bekam.
Clair war da anders. Einmal, nachdem er einen furchtbaren Brand hatte löschen müssen, bei dem zwei Menschen ums Leben gekommen waren, hatte sie einfach neben ihm auf dem Sofa gesessen und seine Hand gehalten. Sie hatten gemeinsam ferngesehen, aber Harris wusste, dass keiner von ihnen auf den Film geachtet hatte.
Was das Verhältnis zu Clair vor allen Dingen ausmachte, war die Ungezwungenheit. Er traf sich nur mit ihr, wenn er wollte, und hatte nie das Gefühl, sie anrufen zu
müssen.
Seltsamerweise rief er sie deshalb ziemlich oft an oder traf sich mit ihr.
Ihre Zeit miteinander verbrachten sie ohne irgendwelche erotischen Hintergedanken, sodass die Sache zwischen ihnen nicht unnötig verkompliziert wurde. Es war ihr egal, ob er sich rasierte oder ob er
Twinkies
zum Mittagessen verspeiste oder ob er die ganze Nacht mit seinen Kumpels um die Häuser zog. Zuerst hatte ihr Desinteresse ihn gestört, doch nachdem Ethan und Riley zwei Frauen in die Fänge geraten waren und sie geheiratet hatten, war Harris lächelnden Schönheiten gegenüber inzwischen äußerst misstrauisch – und das aus gutem Grund. Die frischgebackenen Ehefrauen schienen zu glauben, dass auch er eine ernsthafte Beziehung brauchte, und seitdem hatte er keine ruhige Minute mehr. Es war so schlimm, dass er sich fast überhaupt nicht mehr mit Frauen traf.
Was bedeutete, dass er enthaltsam lebte. Und das war nicht schön. Aber immer noch besser, als ständig Gesprächen über “… und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage …” ausweichen zu müssen. Nichts konnte guten Sex gründlicher verderben, als wenn eine Frau zu weit in die Zukunft blickte.
Mit Clair war Sex nie ein Thema. Es kam einfach nie auf. Sie waren Freunde, fühlten sich wohl miteinander, und keiner von ihnen überschritt jemals diese Grenze. Ihre Beziehung war so entspannt, dass er mehr Zeit mit Clair verbrachte als mit seinen Kumpels. Natürlich bevorzugten Ethan und Riley momentan auch eher die Gesellschaft ihrer Ehefrauen.
Als
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