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Die Amazonen von Vanga

Die Amazonen von Vanga

Titel: Die Amazonen von Vanga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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morsche Gemäuer ihrer Zuversicht ab. Waren es erst einzelne Steine, die von den Zinnen herabstürzten, so begann bald das ganze Bauwerk aus Hoffnung und kindlicher Phantasie zu wanken.
    Burras Jugend kannte nicht die Spiele der Gleichaltrigen, nicht deren frohes und ungezwungenes Lachen. Ihre Träume erschöpften sich im Gebrauch tödlicher Waffen.
    Sie war auch die Einsamkeit gewöhnt - allerdings nicht unter der Last der Ungewißheit, die schwer auf ihren Schultern lag. Tage mochten vergangen sein, in denen sie weder Trank noch Speise zu sich nehmen konnte, ganz einfach weil es nichts gab, was für den menschlichen Verzehr geeignet war. Die einzigen Gefährten, die das Verlies mit ihr teilten, waren zwei doppelt faustgroße Spinnen, die hin und wieder ihre wagenradgroßen Netze verließen und über den Boden huschten, wobei die schabenden Geräusche entstanden, die Burra seit Anbeginn ihrer Gefangenschaft vernahm.
    Der Mangel an Flüssigkeit verwirrte die Sinne des Mädchens. Immer häufiger geschah es, daß sie aus der Wirklichkeit in eine Scheinwelt floh, die aus Bruchstücken früher Erinnerungen zu bestehen schien.
    Vor allem ein Gesicht verfolgte Burra nicht nur im Schlaf. Es war das einer Frau von Adel; ihre Züge, beherrscht von den vorstehenden Backenknochen, wirkten wie aus Stein gemeißelt. Nur die sanft blickenden Augen verliehen ihr einen Ausdruck von Güte. Und so war sie auch.
    »Gaida…«, schreckte das Mädchen auf.
    Ihre Mutter war den schönen Künsten zugetan. Sie duldete es sogar, daß Jodrel, Burras Vater, sich in ihrer Nähe aufhielt, ohne zuvor dazu aufgefordert worden zu sein.
    Ein Alpdruck lastete auf dem Mädchen, wenn sie daran dachte, Gaida und der Mann könnten wieder die Lippen aufeinander pressen, wie sie es einst heimlich beobachtet hatte, und eng umschlungen in den Kissen des Nachtlagers versinken. War solches einer Frau wirklich würdig?
    Burra verstand nicht. Sie machte sich auch nicht die Mühe, weiter darüber nachzudenken, denn in ihren Eingeweiden wühlte der Hunger. Häufiger geschah es, daß sie von Krämpfen geschüttelt wurde. Dann erwachte die Finsternis zu grausigem Leben, stürzten furchterregende Schreckgestalten von allen Seiten auf sie ein. Sie lechzten nach einem Opfer, und ihr Brüllen klang wie ferner Donner.
    Geraume Zeit verging, bis Burra endlich begriff, daß sie selbst es war, die schrie. Lang ausgestreckt lag sie auf dem Boden; die Feuchtigkeit der Flechten benetzte ihre Wangen.
    Längst spürte sie die Kälte nicht mehr, die mit eisigen Fängen in ihre Glieder kroch und sie lähmte. Jede Bewegung fiel unsagbar schwer, jeder Atemzug drohte ihren Brustkorb zu zerreißen. Von heftigem Husten geschüttelt, bäumte Burra sich auf. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie sich hilflos zusammenkrümmte.
    Irgendwann raffte das Mädchen noch einmal all ihre Kräfte zusammen. Zitternd preßte sie ihren Mund auf den Steinboden, sog gierig die Nässe auf, die sich ihr darbot.
    Burra riß die Pflanzen aus und kaute auf ihnen, bis sie trocken waren wie Stroh. Das wenige Wasser, das sie enthalten hatten, linderte das rauhe Kratzen in ihrer Kehle. Gleichzeitig aber wurde der Drang nach etwas Eßbarem unwiderstehlich, der in den Eingeweiden wühlte wie mit glühenden Messern.
    Kriechend zog Burra sich vorwärts, die Finger in den Fugen der Steinplatten verkrallt. Sie merkte nicht, daß sie sich die Haut abschürfte und das Fleisch von den Knochen riß.
    Burra war wie besessen. Sie stöhnte, schrie und kreischte, wand sich in wilden Zuckungen, während ihr Atem kurz und heftig ging und ihr Herzschlag immer unregelmäßiger wurde.
    Aber sie mußte weiter, durfte nicht aufgeben.
    Solange ein Funke Leben in ihr war, würde sie nicht aufhören zu kämpfen.
    Abscheu und Ekel schnürten ihr die Kehle zu, ließen sie würgen. Dann war vor ihr ein Gespinst wie von Tausenden Silberfäden, dessen Glitzern selbst die Finsternis nicht zu verbergen vermochte.
    Das Mädchen zerfetzte das klebrige Netz mit einer einzigen Bewegung. Ihr Blick, unstet und flatterhaft, suchte die Spinne.
    Bevor sie zupacken konnte, wurde sie von Krämpfen geschüttelt. Das Tier indes zeigte deutlich, daß es den Störenfried anzugreifen gedachte. Ein überaus schmerzhafter Biß brachte Burra zur Besinnung. Ihre Finger schlossen sich um den haarigen Körper, bis dessen letzte Zuckung erstarb.
    Angewidert schleuderte das Mädchen den Körper von sich.
    Aber schon im nächsten Moment bereute sie ihre

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