Vermächtnis der Sünder: Das Spiel der falschen Prophetin (German Edition)
Zweiter Brief
Der Preis, der einem jeden San-Hüter auferlegt wurde, war hoch. Sehr hoch. Jeder, ob Mann oder Frau, ob Zwerg oder Elf, der dem Orden beitrat, den erwarteten ein verkürztes Leben und die Leere der Einsamkeit. Denn es war ihnen von da ab nicht vergönnt, eine Familie zu gründen.
Celena und meine Wenigkeit, der ich König Hadaimans bin, gehörten zu ihnen.
Es war allein dieses Wissen ihrer Zukunft, die Celena von Lutek trennte. Und es war ihre Liebe und ihr Wissen über Luteks Antworten auf seine Fragen, die sie wieder zusammenführten. Vieles war seitdem geschehen. Neue Fragen tauchten auf, die einem undurchdringlichen Urwald gleich, sich vor uns, die wir ihre Gefährten waren, ausbreiteten. Gefährliches Wissen durchströmte uns, ohne dass wir es richtig verstanden. Und doch standen wir zu diesen und setzten es ein. Letzten Endes führte es uns unserer Bestimmung näher. Ein Schicksal, das zu wählen uns freistand. Weit mehr, als man anderen in dieser Zeit zubilligte.
Was den Assassinenmeister Tacio betraf, war ich mir zu dieser Zeit weiterhin nicht sicher, welche Rolle er in der ganzen Geschichte spielen mochte. Es sollte für eine ganze Weile im Dunkel bleiben. Auf den Kern der Wahrheit stießen wir viel später. Die Reise hatte ja gerade erst begonnen.
Celena behielt ihr Ziel stets vor Augen, so verworren manche Ereignisse auch sein mochten. Es mag alltäglich klingen, wenn ich sage, dass es ihr um Freiheit ging. An erster Stelle standen ihr die, die ihr am nächsten waren. Sie hatte nicht im Sinn, jene in Knechtschaft der Leibeigenschaft oder diejenigen, die in geistiger Unfreiheit lebten, zu befreien. Ihnen zu helfen war eher ein Nebenprodukt dessen, nach ihrer eigener Erlösung zu suchen, sagte sie einmal. Ich wollte von ihr daraufhin wissen, warum sie nicht an die Bevölkerung dachte. Ihre Antwort war für mich anfänglich unverständlich. Dann aber begriff ich, als sie mir eine Gegenfrage als Argument lieferte. »Wie sollte sie anderen helfen, wenn sie nicht zuerst an sich und derer dachte, die ihr am Nächsten waren?«
Die Tatsache war, man hatte ihr die Freiheit genommen zu entscheiden. Diese musste sie zunächst für sich zurückgewinnen. Allerdings blieb das "Wie" vorerst offen. Denn zu jenem Zeitpunkt war noch kein Weg als gangbar gefunden. Es benötigte Zeit. In das Geheimnis des dunkeln, hinter dem unser aller Schicksale lag, vorzudringen, hieß, die Gewissheiten, das sichere Leben und die Bequemlichkeit der Stabilität, die daraus folgte, zurückzulassen. Celena war es, die in ihrer Hartnäckigkeit genau diese Entscheidung traf. Der Entschluss, sich gegen die aufgezwungene Bestimmung als San-Hüter zu wenden, änderte alles. Sie hatte den Jahrhunderte andauernden Stillstand von Trägheit einen Schups gegeben und uns einen Weg zur Veränderung aufgezeigt. Selten ergab sich für uns die Gelegenheit, die Tatsachen zu verdauen, die sich von nun an offenbarten. Sie zu akzeptieren war schwer. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwarten würde.
Die Geschichten, die wir bis dahin als selbstverständliche Wahrheiten gehalten haben, waren von nun ab Geschichten, die man Kindern vor dem Einschlafen erzählte. Denn die Wunder der alten Welt warteten geduldig auf uns, aber wir mussten um diese kämpfen. Die Gegner entpuppten sich als jene, welche wir für unsere Freunde gehalten hatten. Doch wir fanden Hilfe vonseiten derer, von denen wir es nicht erwarteten.
Wer bist du? Was willst du? Wo gehst du hin? Dies hatte Tacio und Terzios ihr oft gestellt. Und es kam der Tag, da wir verstanden, weshalb sie gefragt hatten.
Ein Fluch gegen einen Fluch einzutauschen, war nicht das, was wir erwartet hatten. Nun gewährte man uns im Gegensatz zum vorhergehenden kurzen Leben ein langes. War dies besser? War es schlechter? Ich bin mir noch heute nicht im Klaren, ob man sich darüber freuen soll. Die mir und Celenas zugestandene Zeit als San-Hüter war von nun ab Vergangenheit und wir erfreuten uns bester Gesundheit. Selbst die furchtbaren Träume, die jedem des Ordens um den Schlaf brachten, plagten uns nicht mehr. Nichts davon war mehr vorhanden. Dafür gewannen wir Jugend, Sorglosigkeit und Lebensfreude. Das Wahrhafte aber lag weiterhin verborgen im Dunkeln, zumindest ein Teil davon.
Was würde sein, wenn wir erkennen müssen, dass niemand aus purem Zufall an dem Ort ist, an dem er sich befindet? Das Schicksal ist es, welches uns den Weg weist. Es drängt uns innerlich, das zu tun, wozu wir bedacht wurden und
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