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Die Ameisen

Die Ameisen

Titel: Die Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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durch die Lüfte zu schießen, wenn man bislang nur das Leben unter der Erde gekannt hat. Ihr ist, als bewegte sie sich in einer anderen Welt. Sie hat die schmalen Gänge gegen einen schwindelerregenden Raum eingetauscht, in dem alles in drei Dimensionen explodiert.
    Intuitiv entdeckt sie sämtliche Flugvarianten. Wenn sie ihr Gewicht auf diesen Flügel verlagert, fliegt sie nach rechts.
    Wenn sie den Anstellwinkel ihres Flügelschlags ändert, steigt sie empor. Oder sie sinkt tiefer. Oder wird schneller … Sie stellt fest, daß sie, um eine perfekte Kurve hinzulegen, die Spitzen ihrer Flügel in eine imaginäre Achse bringen muß und nicht davor zurückschrecken darf, ihren Körper in einem Winkel von über fünfundvierzig Grad abzuknicken.
    Das 56. Weibchen entdeckt, daß der Himmel keineswegs leer ist. Im Gegenteil. Er ist voller Strömungen. Einige, die
    »Pumpen«, lassen sie aufsteigen. Die Luftlöcher hingegen kosten sie Höhe. Man kannte nur erkennen und sich darauf einstellen, wenn man die Bewegungen der Insekten weiter vorn beobachtet.
    Sie friert. Es ist kalt hier oben. Manchmal kommen Luftwirbel, laue oder eisige Windstöße, die sie herumschleudern wie einen Kreisel.
    Eine Gruppe von Männchen hat sich auf die Verfolgung gemacht. Nr. 56 beschleunigt, um nur von den schnellsten und hartnäckigsten eingeholt zu werden. Das ist die erste genetische Selektion …
    Sie spürt etwas. Ein Männchen hat sich an ihrem Hinterleib festgemacht, klettert an ihr hoch, steigt auf sie hinauf. Es ist ziemlich klein, aber da es aufgehört hat, mit den Flügeln zu schlagen, erscheint ihr sein Gewicht beträchtlich.
    Sie verliert ein wenig an Höhe. Oben windet sich ihr Begleiter, um nicht von den Flügeln behindert zu werden.
    Vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht, verbiegte r seinen Hinterleib, um mit seinem Stachel das weibliche Geschlecht zu erreichen.
    Sie harrt neugierig der Empfindungen. Ein köstliches Kribbeln steigt in ihr auf. Das bringt sie auf eine Idee. Ohne Vorwarnung kippt sie nach vorn und geht in den Sturzflug. Der helle Wahn! Die große Ekstase! Geschwindigkeit und Sex vereinen sich zu ihrem ersten großen Cocktail der Wonne.
    Das Bild des 327. Männchens geht ihr kurz durch den Sinn.
    Der Wind pfeift durch die Härchen zwischen ihren Augen. Ein würziger Saft läßt ihre Antennen erzittern. Einige ihrer Sinne verwandeln sich in eine bewegte See. Sonderbare Flüssigkeiten quellen aus all ihren Drüsen hervor. Sie vermischen sich zu einer schäumenden Suppe, die sich in ihr Gehirn ergießt.
    In Höhe der Gräser angekommen, nimmt sie all ihre Kraft zusammen und schlägt wieder mit den Flügeln. Jetzt schießt sie wie ein Pfeil nach oben. Als sie sich wieder beruhigt, fühlt sich das Männchen gar nicht mehr gut. Seine Beine schlottern, seine Mandibeln hören nicht auf, sich grundlos zu öffnen und zu schließen. Herzstillstand. Und freier Fall …
    Bei den meisten Insekten sind die Männchen darauf programmiert, bei ihrem ersten Liebesakt zu sterben. Ihnen steht nur ein einziger Coup zu, der richtige. Wenn die Spermien den Körper verlassen, nehmen sie das Leben ihres Besitzers mit sich.
    Bei den Ameisen tötet die Ejakulation das Männchen. Bei anderen Arten ermordet das Weibchen, gerade erst beglückt, seinen Wohltäter. Einfach, weil die Erregung Appetit gemacht hat.
    Man muß sich den Tatsachen beugen: Die Welt der Insekten ist im Ganzen eine Welt der Weibchen, genauer gesagt der Witwen. Die Männchen haben darin nur vorübergehend Platz …
    Aber schon klammert sich ein zweiter Erzeuger an sie. Kaum ist der eine gegangen, wird er schon ersetzt! Es folgt ein dritter, dann noch viele andere. Nr. 56 zählt sie nicht mehr.
    Mindestens siebzehn oder achtzehn lösen einander ab, um ihre Spermathek mit frischen Keimzellen zu füllen.
    Sie spürt die lebende Flüssigkeit, die in ihrem Hinterleib brodelt. Das ist der Vorrat ihrer zukünftigen Stadt. Millionen von männlichen Fortpflanzungszellen, die es ihr ermöglichen werden, fünfzehn Jahre lang täglich Eier zu legen.
    Rings um sie werden ihre Schwestern von den gleichen Empfindungen erfüllt. Der Himmel ist voll von fliegenden Weibchen, die von einem oder sogar mehreren Männchen bestiegen werden, die sich gemeinsam mit dem gleichen Weibchen paaren. Liebeskarawanen, die in den Wolken hängen. Diese Damen sind trunken vor Müdigkeit und Glück.
    Sie sind keine Prinzessinnen mehr, sie sind Königinnen. Ihre wiederholte Wonne hat sie ganz benommen

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