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Die Ameisen

Die Ameisen

Titel: Die Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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gesprenkelt. Sie watet durch die warmen Photonen. Für jemand, der seine Kindheit unter der Erde verbracht hat, ist der Unterschied gewaltig.
    Eine weitere Biegung. Ein Bündel klaren Lichts schießt hinein, dehnt sich zu einem flimmernden Kreis, dann zu einem silbernen Schleier aus. Das Bombardement des Lichts läßt sie zurückprallen. Sie spürt die Funken, die in ihre Augen treten, ihre Sehnerven versengen, ihre drei Gehirne martern. Drei Gehirne … Ein altes Erbe ihrer Vorfahren, der Würmer, die einen Nervenknoten pro Körperring hatten, ein Nervensystem für jeden Teil des Körpers.
    Sie kämpft wieder gegen den Photonenwind an. In der Ferne erkennt sie die Gestalten ihrer Schwestern, die von dem Tagesgestirn erhascht werden. Sie sehen aus wie Phantome.
    Sie geht weiter. Ihr Panzer wird lauwarm. Dieses Licht, das man ihr tausendmal zu schildern versucht hat, ist mit Worten nicht zu erfassen, man muß es erleben! Sie muß an die Arbeiterinnen aus der Unterkaste der »Pförtnerinnen« denken, die zeitlebens in der Stadt eingeschlossen bleiben und niemals erfahren, wie die Außenwelt und die Sonne sind.
    Sie dringt in die Mauer aus Licht ein und gelangt auf die andere Seite außerhalb der Stadt. Ihre Facettenaugen passen sich nach und nach an, während sie das Stechen der wilden Luft wahrnimmt. Eine kalte Luft, beweglich und duftend, ganz anders als die gezähmte Atmosphäre der Welt, in der sie gelebt hat.
    Ihre Antennen wirbeln umher. Sie hat Mühe, sie kontrolliert auszurichten. Ein noch schnellerer Windstoß preßt sie ihr vors Gesicht. Ihre Flügel knattern.
    Oben auf der Spitze der Kuppel wird sie von Arbeiterinnen in Empfang genommen. Sie ergreifen sie an den Beinen, ziehen sie hoch, stoßen sie nach vorn in ein Gewühl von Männchen und Weibchen, die sich zu Hunderten auf einer schmalen Fläche drängen und stapeln. Die 56. Prinzessin erfaßt, daß sie auf der Startbahn des Hochzeitsflugs steht, daß sie jedoch noch warten müssen, bis das Wetter besser ist.
    Während der Wind weiter seinen Schabernack treibt, hat ein Dutzend Spatzen die Männchen und Weibchen erblickt.
    Angelockt von diesem unverhofften Fressen flattern sie immer näher heran. Als sie zu nahe kommen, decken die kronenförmig um die Spitze plazierten Artilleristinnen sie mit ihren Säurestrahlen ein.
    Jetzt gerade versucht einer dieser Vögel sein Glück, er stürzt auf die Menge hinab, pickt drei Weibchen und steigt wieder hoch! Bevor der dreiste Räuber genug Höhe gewonnen hat, wird er von den Artilleristinnen abgeschossen; er wälzt sich, den Schnabel noch voll, kläglich im Gras, um das Gift von seinen Flügeln zu wischen.
    Das soll ihnen eine Lehre sein! Und in der Tat, die Spatzen haben sich ein wenig zurückgezogen … Aber niemand läßt sich dadurch täuschen. Sie werden bald wiederkommen, die Luftabwehr einem erneuten Test unterziehen.
     
    RAUBTIERE: Was wäre unsere menschliche Zivilisation, wenn sie sich nicht der gefährlichsten Raubtiere entledigt hätte, der Wölfe, Löwen, Bären und Hyänen?
    Sicher eine ängstliche, ständig in Frage gestellte Zivilisation.
    Die Römer ließen, um sich inmitten ihrer Zechgelage Angst einzujagen, eine Leiche herbeischaffen. So wurden alle daran erinnert, daß nichts gewonnen ist und daß der Tod jeden Augenblick eintreten kann.
    Heute jedoch hat der Mensch sämtliche Arten, die fähig sind, ihn zu fressen, umgebracht, ausgerottet, ins Museum gesteckt. So daß die Mikroben und vielleicht die Ameisen die einzigen sind, die ihn noch schrecken können.
    Die Zivilisation der Ameisen hingegen hat sich entwickelt, ohne daß es ihr gelungen ist, die hauptsächlichen Räuber auszuschalten. Resultat: Dieses Insekt lebt in ständiger Gefahr. Es weiß, daß es erst die Hälfte des Wegs zurückgelegt hat, wenn selbst das dümmste Tier mit einem Tatzenhieb die Frucht tausendjährigen, wohldurchdachten Experimentierens zunichte machen kann.
    Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens
     
    Der Wind hat nachgelassen, die Luftströme werden seltener, die Temperatur steigt. Um 22°-Zeit beschließt die Stadt, ihre Kinder loszuschicken.
    Die Weibchen lassen ihre vier Flügel surren. Sie sind bereit, nur zu bereit. All diese Düfte reifer Männchen haben ihr sexuelles Verlangen auf die Spitze getrieben. Die ersten Jungfrauen heben anmutig ab. Sie schwingen sich auf eine Höhe von hundert Kopf und … werden von den Spatzen hinweggerafft. Keine kommt durch.
    Unten herrscht Bestürzung,

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